Das Weltgeheimnis (German Edition)
braucht, um von der Spitze des Turms zur Erde zu fallen, sind zu kurz für solche Untersuchungen. Sie erlauben keine verlässlichen Messungen mit damaligen Uhren.
Genauso gehört die Geschichte vom Leuchter im Dom von Pisa, dessen Schwingungen Galilei schon als Student zum Pendelgesetz geführt haben sollen, ins Reich jener Legenden, die keinem Pisa-Besucher vorenthalten bleiben. Egal wann man den Dom betritt, immer trifft man auf eine Touristengruppe, die andächtig zur Decke schaut. Zumindest diese Lampe ist allerdings nachweislich erst nach Galileis Studienzeit dort angebracht worden.
Galilei ist ebenso wenig wie Kepler ein »Wunderkind«. Seine tiefen Einblicke in die Fall- und Wurfbewegung findet er erst über viele Umwege, die für die Physik und Mathematik genauso charakteristisch sind wie für jede andere innovative Kultur. In Florenz und Pisa hat Galilei noch keine klaren Ziele vor Augen. Vielmehr hat er im höfischen Milieu, in dem auch sein Vater verkehrt, ein Gespür dafür entwickelt, was andere an den Wissenschaften besonders fasziniert. Immer wieder greift er populäre Themen wie die Goldwaage oder die Ausmaße von Dantes Hölle auf. In späteren Jahren bastelt er an einer Wasserpumpe und an einem Recheninstrument, philosophiert über einen neuen Stern am Himmel und widmet sich wunderlichen Magnetsteinen.
»Die frühneuzeitliche Neugierde wurde zu einer Spielart des Konsumismus«, so die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston. »Die Neugierde und der Luxuswarenhandel jagten hinter Neuheiten her, denn die Luxuswaren von heute – Tee, Schuhe, Weißbrot – waren die täglichen Bedarfsgüter von morgen; ganz ebenso wurde der gefräßigen Neugier nach kurzer Zeit jedes Wissen langweilig.« Die Vielfalt von Galileis Arbeitsgebieten erklärt sich nicht zuletzt aus diesem Kontext. Er ist stets auf der Suche nach Neuigkeiten und Kuriositäten, verliert dabei aber seine höfischen Ambitionen nie aus den Augen.
Seine Mechanik, die Begriffe und Formeln, in denen seine Theorie der Bewegung schließlich Gestalt annimmt, tauchen aus einem heute nur noch schwer entwirrbaren Netz aus Irrwegen und richtigen, teils aber wieder verlassenen Fährten auf. Von dieser Odyssee ist in den wissenschaftlichen Hauptwerken, die Galilei erst im hohen Alter zu Papier bringt, keine Rede mehr. Vergessen sind alle Umwege, und es scheint, als ob nur der kürzeste Weg das »Gütesiegel der Vernunft« erhalten habe, wie der Philosoph Hans Blumenberg formuliert. »Alles andere rechts und links daran entlang und vorbei ist das der Stringenz nach Überflüssige, das sich der Frage nach seiner Existenzberechtigung so schwer zu stellen vermag.«
GEHEIMNISSE DES HIMMELS UND DER EHE
Was Kepler aus den Sternen liest
Als Johannes Kepler in der Osterzeit 1594 zusammen mit seinem Vetter in Graz eintrifft, muss er erst einmal seinen Kalender umstellen. Er hat unterwegs zehn Tage verloren. In der Steiermark gilt seit ein paar Jahren eine neue Zeitrechnung.
Mit den zehn Tagen Differenz soll ein Fehler wettgemacht werden, der sich über Jahrhunderte summiert hat. Der traditionelle, unter Julius Cäsar eingeführte Kalender hat schlicht zu viele Schalttage. Dagegen wird im neuen Gregorianischen Kalender zwar weiterhin alle vier Jahre ein Schalttag eingefügt, in großen Abständen von Jahrhunderten jedoch immer mal wieder einer weggelassen. So weicht der neue Kalender in 3000 Jahren nur noch um einen einzigen Tag gegenüber dem tatsächlichen Lauf der Sonne ab.
Trotz dieses Vorzugs schreibt Keplers ehemaliger Universitätsprofessor, der Mathematiker Michael Mästlin, scharfe Polemiken gegen die Reform – nicht aus wissenschaftlichen Gründen, sondern weil sie vom Papst kommt. Als Lutheraner setzt er sich vehement dafür ein, dass die protestantischen Teile des Reichs ihren alten Kalender behalten dürfen.
Kepler wird zwangsläufig in den Konflikt hineingezogen. Nach seinem abgebrochenen Theologiestudium in Tübingen hat der Zweiundzwanzigjährige die schwierige Aufgabe übernommen, in der katholischen Steiermark an einer evangelischen Stiftsschule Mathematik zu unterrichten. Außerdem soll er von nun an Jahr für Jahr einen astrologischen Kalender schreiben, ein Prognostikum mit Wettervorhersagen und praktischen Hinweisen fürs Säen und Ernten, mit Gesundheitstipps und Ausblicken auf politische Ereignisse des kommenden Jahres. Solche Kalender sind beliebt und für weite Teile der Gesellschaft neben der Bibel die einzige Berührung mit der
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