Das Weltgeheimnis (German Edition)
Schriftkultur.
Als Kalenderschreiber ist es für Kepler unerlässlich, sich Klarheit über die korrekte Zeitrechnung zu verschaffen, insbesondere über den Ostertermin, von dem alle weiteren beweglichen christlichen Feiertage abhängen. Bisher vagabundiert das Osterfest im Kalender herum, mit der Kalenderreform, an der schon Nikolaus Kopernikus auf Bitte des Papstes mitgearbeitet hat und die 1582 zum Abschluss gekommen ist, bleibt das Kirchenfest zumindest in einem gewissen zeitlichen Rahmen.
Kepler will mit einem sachgerechten Urteil zur Debatte beitragen. »Was will denn das halbe Deutschland machen?«, fragt er seinen Tübinger Professor. »Wie lange will es sich von Europa abspalten?« Gerade die Astronomen müssten auf Ordnung und Schönheit bedacht sein, da die Natur dies erfordere. »Wenn es Gott gefallen hat, die Welt mit vollkommenen Quantitäten auszustatten, warum sollten dann die Astronomen nicht auch im Kalender eine gewisse Vollkommenheit anstreben?«
Vergeblich plädiert er jetzt und noch viele Jahre später vor dem Reichstag in Regensburg dafür, den Gregorianischen Kalender auch in den protestantischen Ländern einzuführen. Mästlin und andere Wortführer auf protestantischer Seite lassen sich jedoch nicht umstimmen, ein Beispiel dafür, wie unüberbrückbar die Gegensätze im Reich sind. Über hundert Jahre hinweg, bis zum 1. März 1700, werden in Deutschland zwei verschiedene Kalender nebeneinander bestehen bleiben, in Keplers Augen eine absurde Situation. Er hält sich an die Gregorianische Reform und macht sich damit unter seinen lutherischen Glaubensgenossen keine Freunde.
Horoskope und waghalsige Prognosen
Auch seine astrologische Aufgabe ist heikel. Zwar hat er schon als Student damit angefangen, gelegentlich Horoskope zu schreiben, aber nie daran gedacht, seinen Lebensunterhalt mit waghalsigen Prognosen über das Weltgeschehen zu verdienen. In Graz erwartet man aber genau das von ihm.
Kepler hat offenbar gute Ratgeber und das nötige Quäntchen Glück. Für 1595 sagt er eine bittere Kälte, Türkeneinfälle und Bauernunruhen voraus. Alles treffe bisher richtig ein, hält er zu Jahresbeginn fest. »Es herrscht eine unerhörte Kälte in unserem Lande. Von den Sennen in den Alpen sterben viele an Kälte.« Außerdem habe der Türke dieser Tage die ganze Gegend unterhalb Wiens bis Neustadt durch Brandschatzung verwüstet. Die Bauernunruhen im weiteren Verlauf des Jahres nehmen geradezu anarchistische Züge an.
Die Leser ermahnt er jedoch dazu, solchen Prophezeiungen nicht allzu sehr zu vertrauen. »Dem stärckern Vnder zweyen feinden kan der Himmel nicht vil schaden, dem schwächern nicht vil nutzen«, heißt es in seinem Kalender für das Jahr 1598. »Wer sich nun mit guetem rhat, mit volck, mit waffen, mit dapfferkeit sterckhet, der bringt auch den Himmel auff seine seitten.«
Kepler schimpft über den »schrecklichen Aberglauben« derjenigen, die meinen, konkrete Ereignisse vorhersagen zu können. Insbesondere politische Entwicklungen stehen seiner Meinung nach nicht in den Sternen geschrieben. Trotzdem hält er wie die meisten seiner Zeitgenossen an dem Glauben fest, dass Sterne und Planetenkonstellationen das menschliche Schicksal beeinflussen.
Mit seinem ambivalenten Verhältnis zur Astrologie und seinem Versuch, Sterndeutung und rechnende Sternenkunde miteinander in Einklang zu bringen, steht Kepler in einer Tradition, die von Claudius Ptolemäus bis zu Girolamo Cardano reicht. Cardano ist einer der herausragenden Mathematiker des 16. Jahrhunderts, doch seine Leistungen auf dem Gebiet der Algebra verblassen neben seiner Bedeutung als Astrologe.
»Nachdem, wie man mir erzählt, vergebens Abtreibungsmittel angewandt worden waren, kam ich zur Welt im Jahre 1501, am 24. September«, schreibt Cardano zu Beginn seiner populären Autobiografie De vita propria . Beinahe wäre er missgestaltet zur Welt gekommen. Doch weil Jupiter im Aszendenten stand »und die Venus Herrin der ganzen Konstellation war, so ward ich nirgends verletzt als an den Geschlechtsteilen, sodass ich von meinem 21. bis zum 31. Lebensjahre nicht mit Frauen verkehren konnte und deswegen oft darob mein trauriges Schicksal beklagt, jeden anderen um sein glücklicheres Geschick beneidet habe«.
Mit großer Offenheit schildert Cardano seinen Jähzorn und die Lust am Schach- und Würfelspiel, die ihn über vier Jahrzehnte hinweg Tag für Tag packt. Für seine Selbsterforschung benutzt er genauso wie für seine
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