Das Weltgeheimnis (German Edition)
Kollegen vorzustellen, und rückt, nachdem er seine Wertschätzung für Keplers Buch zum Ausdruck gebracht hat, sich selbst und seine eigene Arbeit ins rechte Licht. Ihn interessieren im Zusammenhang mit der kopernikanischen Theorie vor allem ihre Konsequenzen für »Naturvorgänge«. »Ich habe darüber vieles an direkten und indirekten Beweisen geschrieben, aber bisher noch nicht zu veröffentlichen gewagt.«
Gleich im ersten Brief an Kepler zeichnen sich damit – neben ihrer gemeinsamen kopernikanischen Grundhaltung – ihre verschiedenen Ausgangspositionen ab. Kepler stellt sich, ermutigt durch seine Diskussionen mit Mästlin, von Beginn an einer öffentlichen Debatte. Er sucht aktiv nach »Gefährten bei der Erforschung der Wahrheit«. Galilei dagegen hält sich zurück, denn in seinem Umfeld gibt es keinen einzigen Mathematiker, der erkennbar auf seiner Seite stünde.
Christopher Clavius aus Rom oder Giovanni Antonio Magini aus Bologna sind zwar voller Anerkennung für Kopernikus, teilweise stützen sie sich sogar auf dessen Daten. Sie schätzen die kopernikanische Theorie als mathematisches Modell, sprechen ihr allerdings jeglichen Anspruch auf eine Abbildung der Wirklichkeit ab. In dieser Hinsicht werde sie von jedermann als »absurd« zurückgewiesen, so Magini.
Angesichts dieser allgemeinen Ablehnung ist Galilei hocherfreut über Keplers Buch. Sein ganzer Brief zeugt von Anerkennung für das aufklärerische Engagement des Deutschen. Doch außer einem Lippenbekenntnis zu Kopernikus erfährt sein Briefpartner nichts Konkretes. Galilei macht in seinem Brief nur vage Andeutungen dazu, dass er die heliozentrische Weltsicht primär aus physikalischen Gründen bevorzugt. Auf welche »Naturvorgänge« er etwa anspielt, bleibt völlig offen.
Immerhin gesteht er ein, warum er sich bislang jeglichen Kommentars zu Kopernikus enthalten hat. Er sei »abgeschreckt durch das Schicksal von Kopernikus selbst, der unser Lehrmeister ist. Er hat sich bei einigen wenigen unsterblichen Ruhm erworben, von unendlich vielen aber (denn so groß ist die Zahl der Toren) wird er verlacht und ausgepfiffen.«
Galilei hat Angst, sich zu blamieren. Er lässt lieber anderen den Vortritt, wie er kleinlaut einräumt. »Ich würde es in der Tat wagen, mit meinen Gedanken an die Öffentlichkeit zu treten, wenn es mehr Leute Eurer Gesinnung gäbe; da dies nicht der Fall ist, werde ich es unterlassen.«
Vorbehalte gegen das neue Weltbild
Der Mathematiker aus Padua ist nicht der Einzige, der vorerst schweigt. Michael Mästlin ist ähnlich zurückhaltend. Der Mathematiker und Theologe schickt lieber seinen einstigen Schüler vor. Er weiß, wie stark die Einwände protestantischer Gelehrter gegen das kopernikanische Weltsystem sind, das schon Luther unter Berufung auf die Bibel ablehnte.
Auch Kepler ist mit seinem Manuskript zum »Weltgeheimnis« direkt auf Widerstände vonseiten des Senats der Universität Tübingen gestoßen. In einem langen Vorspann hatte er ausführen wollen, dass die kopernikanische Lehre sehr wohl mit der Heiligen Schrift vereinbar sei, musste den entsprechenden Abschnitt jedoch streichen. Die kopernikanische Lehre als mathematische Hypothese zu behandeln ist eine Sache, sie auch nur irgendwie als wahr darzustellen, eine andere, die schon zu Kopernikus’ Lebzeiten heftigen Widerspruch bei den Lutheranern, aber auch bei den Dominikanern in Florenz ausgelöst hat.
Mästlin fürchtet nicht nur Einwände vonseiten der Kirche, sondern bangt genau wie Galilei um seinen Ruf als Wissenschaftler. Als Akademiker stehen beide unter ständiger Beobachtung der Kollegen. Galilei hütet sich davor, sich mit den angesehenen Philosophen der Universität Padua anzulegen, solange er keine belastbaren Argumente für die Bewegung der Erde vorlegen kann. Lieber hält er den Mund.
Als er seinen Brief an Kepler schreibt, ist er noch kein Vorkämpfer für die kopernikanische Weltsicht. Die stärksten Verfechter der kopernikanischen Hypothese sind zunächst eher außerhalb der Universitäten zu finden. Kepler zählt dazu, der Wandermönch Giordano Bruno oder Christoph Rothmann, Mathematiker des Landgrafen von Hessen.
Rothmann hat die Theorie gegenüber dem großen dänischen Astronomen Tycho Brahe verteidigt. Den Briefwechsel der beiden hat Brahe 1596 veröffentlicht und damit in Fachkreisen für hitzige Diskussionen gesorgt. Möglicherweise ergreift Galilei in diesem Zusammenhang erstmals das Wort für Kopernikus. Das klingt umso
Weitere Kostenlose Bücher