Das Wesen aller Kriege (Die Ratte des Warlords IX-A) (German Edition)
anscheinend sehr tief verwurzelt. Darum verschwanden die Sagen und die Legenden von Drachen und Kobolden niemals ganz, sondern passten sich nur allmählich der Zeit an. Furien und Mantikore hatten sich in Vampire und Ghuls und später in Predatoren und Aliens verwandelt.
Was es auch immer für Geschehnisse waren, die diese globalen Erinnerungen hinterlassen hatten, sie geisterten seit Äonen durch das menschliche Denken.
Und vielleicht w aren sie sogar die schlimmsten Dämonen darin.
Möglicherweise riefen sie sogar das hervor, was Kepler als Soldat am meisten verabscheute – den Krieg. Weil Kriege aus Habgier angefangen wurden und weil ihr Wesen der Hass und die Furcht waren.
Denn so irrational wie ein Alptraum die Wirklichkeit verzerrte, so entstellten diese drei grausamen Gefühle alle anderen.
Nur die Liebe nicht.
Die Wolken waren schon verschwunden, als Kepler wieder nach oben sah.
Und der Anblick der Sterne ließ ihn die garstigen Gedanken vergessen. Wie immer. Da waren sie, seine... Nicht Freunde, aber gute alte Bekannte. Wie seit Jahrmillionen hingen sie in der tiefen Schwärze und funkelten vor sich hin.
Das stimmte nicht ganz. Die Sterne mochten uralt sein, nur unveränderlich waren sie nicht. Kepler dachte an den Artikel, den er über die Schulter der kleinen Chinesen gelesen hatte. Darin war es um Homo Sapiens Idaltu gegangen, den ersten anatomisch modernen Menschen, dessen Überreste an der Rotmeerküste in der äthiopischen Afar-Senke gefunden worden waren. Kepler malte sich aus wie der afrikanische Himmel damals ausgesehen hatte.
D er Sirius war viel weiter im Norden gewesen. Und wegen der Präzession der Erdachse hatte damals wohl Wega als Polarstern gedient. Falls sich zu der Zeit jemand überhaupt Gedanken um seine Orientierung gemacht hatte.
Kepler stellte sich vor , wie ein Mensch vor hundertsechzigtausend Jahren den Blick auf den hellen blauen Stern gerichtet hatte, um einen Weg zu finden.
Als Spezies hat der Mensch nur überlebt, weil er fähig war sich zu erinnern.
Vor allem d aran, dass er mehr als alles andere auf der Welt, mehr als sich selbst – einen anderen liebte.
Die Erinnerung an Lisas leuchtende Augen, ihr warmes Lächeln und ihre filigranen Finger, die seine Hand fest umschlossen hatten, waren berauschend.
Und sie tat Kepler physisch weh.
Gott konnte Jahrtausende in einem Augenblick verstreichen lassen , und er konnte einen winzigen Moment bis in die Unendlichkeit ausdehnen.
Kepler konnte so etwas nicht tun. Er empfand nur manchmal so. Die Zeit mit Lisa zusammen war für ihn wie ein unvergesslicher Wimpernschlag verflogen.
Und nur ein Tag ohne sie dauerte für ihn wie tausend Jahre.
Und dennoch...
Er hatte Träume und Freunde verloren. Aber dafür hatte er endlich die Liebe gefunden. Für einige Dinge war er bereit zu sterben. Vor allem für Lisa. Doch war er in aller Konsequenz auch bereit – für sie zu leben.
Weil Lisa seine Welt verändert hatte, als sie ihm ihre Liebe schenkte. Weil ihre Liebe ihn durch das Grauen getragen und es ihn überleben lassen hatte.
Seine z errende Sehnsucht nach Lisa wurde etwas weniger schneidig. Er hatte ein Wozu zu leben. Das ließ ihn jedes Wie ertragen.
"Diese Welt existiert nur", flüsterte er und lächelte leise, "damit es dich gibt."
Er stand da, wartete auf den Morgen, blickte zu den Sternen und seine Erinnerungen an die Vergangenheit verwoben sich mit den Gedanken an Lisa.
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