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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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und Spiel wäre. Gottes Weisheit, so behauptete er, sei weiblich und eine ewige Jungfrau – kein Eheweib, sondern makellose Keuschheit und Reinheit als Abbild Seiner selbst … In ihr, so schrieb Böhme, erblicke der Heilige Geist das Bild der Engel. Und obschon sie allen Früchten Leib gebe, sei sie nicht die Leiblichkeit der Früchte, sondern die Anmut und Schönheit in ihnen …
    Solche Sätze ergaben für Alma keinerlei Sinn. Einige erzürnten sie sogar. Und ganz gewiss erweckten sie kein Verlangen in ihr, das Essen, Studieren oder Sprechen einzustellen oder den Freuden des Körpers zu entsagen und von Sonne und Regen zu leben. Im Gegenteil, Böhmes Schriften steigerten nur Almas Sehnsucht nach ihren Moosen und Mikroskopen, nach den Annehmlichkeiten des Greifbaren, Konkreten. Warum reichte die materielle Welt Menschen wie Jacob Böhme nicht? War das, was man sehen, berühren und für wahr befinden konnte, nicht wunderbar? Nicht wunderbar genug?
    Wahres Leben stehe im Feuer, schrieb Böhme, und dann jage ein Mysterium das nächste.«
    So gern sich Alma an dieser Jagd beteiligt hätte – ihr Geist wollte sich einfach nicht entzünden. Allerdings kam er auch nicht zur Ruhe. Die Böhme-Lektüre wies ihr den Weg zu anderen Werken aus der Bibliothek von White Acre – verstaubten Abhandlungen, die allesamt an der Schnittstelle zwischen Botanik und Gottesgelehrsamkeit zu verorten waren. Skepsis und Empörung gingen bei Alma Hand in Hand. Sie blätterte in den Werken alter Theologen und abstruser Thaumaturgen. Sie nahm Albertus Magnus in Augenschein. Pflichtbewusst las sie, was Mönche vierhundert Jahre zuvor über Alraune und Einhörner geschrieben hatten. Aus wissenschaftlicher Sicht standen all diese Abhandlungen auf unbeschreiblich tönernen Füßen. In der Logik des Denkens dieser Autoren klafften solche Löcher, dass Alma zu hören glaubte, wie der Wind durch ihre Argumente pfiff. Seinerzeit war man von den absonderlichsten Dingen ausgegangen – dass Fledermäuse Vögel seien, dass Störche unter Wasser überwinterten, dass Stechmücken dem Tau von Blättern entsprangen, dass sich Gänse aus Rankenfußkrebsen entwickelten und Rankenfußkrebse auf Bäumen wüchsen. Als historische Phänomene waren solche Dinge durchaus interessant – doch warum, fragte sich Alma, sollte man derartigen Theorien Anerkennung zollen? Warum hatte sich Ambrose von mittelalterlicher Gelehrsamkeit verführen lassen? Sicher, es waren faszinierende Gedankenwege, jedoch Wege voller Irrtümer.
    In einer heißen Nacht gegen Ende des Monats Juli saß Alma beim Schein der Lampe in der Bibliothek und sah sich mit der Brille auf der Nase ein aus dem siebzehnten Jahrhundert stammendes Exemplar eines Arboretum Sacrum an, dessen Autor ähnlich wie Böhme versucht hatte, in sämtliche Bibelpflanzen heilige Botschaften hineinzulesen. Plötzlich erschien Ambrose. Alma fuhr zusammen, während er einen ruhigen, gelassenen Eindruck erweckte. Wenn überhaupt, so schien er sich um Alma zu sorgen. Er nahm neben ihr an dem langen Tisch mitten in der Bibliothek Platz. Er trug dieselbe Kleidung wie schon am Tage. Entweder hatte er mit Rücksicht auf Alma sein Nachtgewand abgelegt, oder aber er war an diesem Abend noch gar nicht schlafen gegangen.
    »Sie sollten nicht so viele Nächte dem Bett fernbleiben, meine liebe Alma«, bemerkte er.
    »Ich nutze die ruhigen Stunden für meine Studien«, erwiderte Alma. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört.«
    Er warf einen Blick auf die Titel der großen, alten Bücher, die vor ihr lagen. »Aber Sie lesen ja gar nichts über Moose«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Was interessiert Sie an all diesen Dingen?«
    Es fiel ihr schwer, Ambrose zu belügen. Alma war ohnehin keine Meisterin im Verbreiten von Unwahrheiten, doch gerade Ambrose wollte sie keinesfalls täuschen. »Es will mir einfach nicht gelingen, Ihrer Geschichte einen Sinn zu geben«, gestand sie. »In diesen Büchern suche ich danach.«
    Er nickte stumm.
    »Angefangen habe ich mit Böhme«, fuhr Alma fort, »den ich schlichtweg unverständlich finde, und nun suche ich weiter und lese … alle anderen.«
    »Ich habe Ihnen mit meinem Geständnis Sorgen bereitet, Alma. Ich hatte befürchtet, dass genau dies geschehen würde. Hätte ich doch geschwiegen!«
    »Nein, Ambrose. Wir sind einander so gute, liebe Freunde. Sie dürfen sich mir immer anvertrauen. Und Sie dürfen mir bisweilen auch Sorgen bereiten. Es ist mir eine Ehre, dass Sie mir solcherlei Geheimnisse

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