Das Wesen. Psychothriller
Vorstellung davon, über was Menkhoff dort oben mit Nicole sprechen wollte. Über Dinge aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit, über ihr jetziges Verhältnis zu Joachim Lichner? Oder über
Wo hatte sie das Haargummi her?
Vielleicht hoffte er auch einfach darauf, dass sie ihre Einsilbigkeit verlieren würde, wenn ich nicht mehr dabei war. Jedenfalls musste ich damit rechnen, dass es einige Zeit dauern würde, bis er herunterkam. Ich setzte mich auf die Beifahrerseite und klappte die Rückenlehne ein Stück zurück.
Bernd und Nicole … Es hatte damals einige Zeit gedauert, bis ich die beiden zum ersten Mal offiziell als Paar zusammen gesehen hatte. Das war im Mai 1995 gewesen, als Bernd, den ich bis zu diesem Tag noch
Herr Menkhoff
oder
Herr Oberkommissar
nannte, mich zum Grillen an einem Samstagabend zu sich nach Hause einlud. Ich kann mich noch erinnern, dass er es
das Sommerangrillen
genannt hatte. Dass der Grund für die Einladung tatsächlich nur wenig mit dem beginnenden Sommer zu tun hatte, wurde mir klar, als ich gegen halb acht dann von Menkhoff in den großen Garten geführt wurde und Nicole Klement ein paar Meter neben der Terrasse in der Nähe des schon rauchenden Grills stehen sah. Sie trug ein luftiges, weißes Sommerkleid, das ihr bis knapp an die Knie reichte und in einem berauschenden Kontrast zu ihren langen, schwarzen Haaren stand. Sie sah so bezaubernd aus, dass ich den Blick nicht mehr von ihr abwenden konnte, bis ich sie erreicht hatte. Als ich dann vor ihr stand, hob sie das Sektglas ein Stück an, das sie in der Hand hielt, und sagte: »Guten Abend, Alexander Seifert, es ist schön, dass Sie kommen konnten.« Es war einer dieser seltenen Augenblicke gewesen, in denen ein leichtes Lächeln ihre Lippen umspielt hatte, und ich muss gestehen, dass ich mich in diesem Moment in diese Frau hätte verlieben können, was immer auch vorher gewesen war, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie mit meinem Partner zusammen war. Ich musste wohl eine ganze Weile so vor ihr gestanden und sie angestarrt haben. Erst Menkhoffs Hand, die neben mir auftauchte und mir ebenfalls ein Sektglas reichte, lenkte mich von ihr ab. Ich nahm es und bedankte mich bei beiden für die nette Einladung. Andere Gäste waren nicht da, und das sollte auch für den Rest des Abends so bleiben. Ich plauderte mit Menkhoff über dienstliche Nebensächlichkeiten, während er sich um das Fleisch kümmerte, und ab und an steuerte auch Nicole etwas zum Gespräch bei. Irgendwann dann, als Menkhoff gerade wieder einmal die Steaks gewendet hatte, hob er sein Glas an – wir beide waren mittlerweile zu Bier übergegangen – und sagte: »Kollege Seifert, ich denke, es ist an der Zeit, die Formalitäten zwischen uns fallen zu lassen. Ich heiße Bernd.« Ich stimmte überrascht zu, auch, als er vorschlug, dass Nicole und ich ebenfalls zum
Du
übergingen. Aber schon beim ersten Zuprosten fiel es mir schwer, sie mit ihrem Vornamen anzureden. Das hatte sich auch nie geändert, ich weiß nicht, warum.
Vom Beginn ihrer Beziehung an gab es Tage, an denen Menkhoff im Dienst abwesend wirkte und nachdenklich, manchmal regelrecht niedergeschlagen. Lange Zeit reagierte er auf Nachfragen schroff oder gar nicht. Das erste Mal, dass er sich diesbezüglich mir gegenüber ein wenig öffnete, war Anfang 1997, da waren sie schon zwei Jahre zusammen. Er erschien erst gegen neun im Büro, brummelte ein undeutliches »Morgen« und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Die dunklen Ränder unter den Augen und die aschfahle Haut ließen mich vermuten, dass er entweder überhaupt nicht oder sehr wenig geschlafen hatte.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich und rechnete dabei maximal mit einem
Ja, was soll nicht in Ordnung sein?
Er stützte die Ellbogen auf dem Schreibtisch ab und fuhr sich erst mit den gespreizten Fingern beider Hände durch die Haare, um dann das Gesicht sekundenlang in den Handflächen zu vergraben. Als er die Arme anschließend auf den Schreibtisch sinken ließ, sagte er: »Ich … Alex, ich weiß oft nicht, was ich über Nicoles Verhalten denken soll. Sie ist so … anders.«
Ich legte den Stift ab, mit dem ich gerade den ausgedruckten Bericht eines jungen Kollegen korrigiert hatte, und lehnte mich zurück. Wenn Menkhoff so ohne weiteres über ein privates Problem redete, musste er in wirklichen Schwierigkeiten stecken. »Inwiefern?«, fragte ich. Ich kam mir dabei ein wenig vor wie in einem sensiblen Verhör, wo ein falsches Wort oder eine unbedachte
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