Das Wetter vor 15 Jahren
Leute erst recht wieder und quatschen einen auf offener Straße an mit dieser blöden Frage.
Literaturbeilage „Na, wie wird das Wetter morgen?"
Wolf Haas Ja, ist wirklich ein Witz, oder?
Literaturbeilage Sein Ärger hatte allerdings in Wahrheit einen ganz anderen Grund. Er war frustriert, weil all die Frauen angekommen sind, nur die eine nicht, um die es ihm ging.
Wolf Haas Na ja. Das stimmt nur zum Teil.
Literaturbeilage Es muss doch furchtbar enttäuschend für ihn gewesen sein, dass die Frau, wegen der er aufgetreten ist, als Einzige nicht reagiert.
Wolf Haas Jetzt sprechen Sie einen zentralen Punkt an. Das war eine entscheidende Frage für mich. Ich bin selbst erst nach und nach draufgekommen, dass er sich da eigentlich was vorgemacht hat. Er hat sich ja nie richtig eingestanden, dass seine Wetterleidenschaft was mit Anni zu tun hatte.
Literaturbeilage Das kann doch wohl nicht sein.
Wolf Haas Die Verbindung hat eigentlich nur Riemer hergestellt in seiner Fixiertheit. Kowalski selbst hat ja Anni wirklich im Lauf der Jahre auf gewisse Weise vergessen. Oder nicht gerade vergessen, aber doch -
Literaturbeilage - aus den Augen verloren.
Wolf Haas Man müsste Hegelianer sein. Das Wetter hat Anni aufgehoben!
Literaturbeilage Sie sind ja würklich -
Wolf Haas Im dreifachen Sinne! Temperatur, Luftdruck, Niederschlag.
Literaturbeilage Sie amüsieren sich ja königlich.
Wolf Haas Ich will damit nur sagen: Bewusst hat er sich nur noch für das Wetter interessiert. Die Erinnerung an Anni ist immer mehr verblasst.
Literaturbeilage In Ihrem Buch steht ja auch der furchtbare Satz: „Kein Mensch ist auf die Dauer so interessant wie das Wetter."
Wolf Haas Find ich nicht so furchtbar. Also, ich glaub, das ist doch einfach eine Tatsache. Die meisten Menschen halten sich zwar selbst für interessant. Aber wenn man ehrlich ist.
Literaturbeilage Herr Kowalski hat das offenbar nicht ganz so zynisch gesehen wie Sie. Immerhin ist Anni für ihn sehr, sehr lange interessant geblieben.
Wolf Haas Aber gerade für ihn war das Wetter die Rettung. Das wäre ja sonst früher oder später doch sehr seltsam geworden. Er ist herangewachsen, er war, als er im Fernsehen aufgetreten ist, ein dreißigjähriger Mann, der kann ja nicht dauernd von einem fünfzehnjährigen Mädchen schwärmen. Das geht vielleicht in den ersten Jahren noch. Aber irgendwann wird's zur zur zur
Literaturbeilage - Pädophilie.
Wolf Haas Na ja, nicht gerade Pädophilie. Sie waren ja de facto gleich alt. Die Erinnerung hat einfach immer weniger zu seiner Realität gepasst. So hat das Wetter im Lauf der Jahre den geliebten Menschen ersetzt.
Literaturbeilage Sie behaupten also allen Ernstes, dass er zuletzt gar nicht mehr an Anni gedacht hat.
Wolf Haas Natürlich kann man fragen, warum ausgerechnet das Wetter in ihrem Ort. Er hat zum Beispiel absolut keine Ahnung, wie das Wetter in seiner Heimat eigentlich ist. Da sagt er nur ziemlich pauschal, das Wetter im Ruhrgebiet sei „langweilig".
Literaturbeilage Na gut, das stimmt aber auch. Die haben da ja würklich das ganze Jahr die gleiche Suppe. Das kann man nicht mit dem Alpenwetter vergleichen.
Wolf Haas Kann schon sein. Ich muss zugeben, mich interessiert das Wetter auch nicht besonders. Ich merke immer nur, dass schlechtes Wetter ist, wenn meine Freundin spinnt.
Literaturbeilage Sie schreiben ein Buch über das Wetter, mit einem Wetterexperten als Hauptfigur, und beide, weder Autor noch Protagonist, interessieren sich für das Wetter.
Wolf Haas (lacht) Ja, das ist ein Problem. Für mich war es wirklich eine lästige Arbeit, bis ich da reingefunden habe. In dieses Wettervokabular. In diese Adria-Tiefs und Biskaya-Hochs.
Literaturbeilage Umgekehrt.
Wolf Haas Na sehen Sie.
Literaturbeilage Aber ich denke mal, beim Schreiben kann man daraus ja auch eine Pointe machen, dass es eben nicht alle so gut wissen wie Herr Kowalski.
Wolf Haas Ja schon, aber die Pointe, dass es einer falsch sagt, kann man als Autor auch nur machen, wenn man es selber weiß.
Literaturbeilage Das ist klar. Dem Buch merkt man das jedenfalls nicht mehr an, dass Sie da Probleme hatten. Oder vielleicht merkt man es doch. Jetzt, wo Sie das sagen. Sie haben vielleicht eine Spur zu viel von Ihrem hart erworbenen Wissen hineingepackt. Ich interessiere mich persönlich schon etwas für das Wetter, im Gegensatz zu Herrn Kowalski und Ihnen. Aber diese Detailfülle war mir beim Lesen schon manchmal ein bisschen too much.
Wolf Haas Ist
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