Das Wetter vor 15 Jahren
schon möglich, dass man das übertreibt, gerade weil man sich eigentlich nicht wirklich interessiert. Das kann einem als Autor leicht passieren. Dort, wo man wirklich Experte ist, hat man eher einmal die Gelassenheit, das alles wegzulassen oder in ein, zwei Zeilen abzuhandeln.
Literaturbeilage Ach deshalb ist die eigentliche Liebesgeschichte so knapp ausgefallen!
Wolf Haas Ja haha. Weil ich da so ein Experte bin.
Literaturbeilage Über das Wetter schreiben Sie jedenfalls wesentlich detaillierter als über die eigentliche Liebesgeschichte.
Wolf Haas Bei ihm lässt sich das eben so schwer trennen. Sein Gefühlsleben war immer extrem mit dem Wetter verwoben. Das hat ihm ja immer so viele Probleme beschert!
Literaturbeilage Das ist beim Lesen anfangs etwas irritierend, dass sein Liebesleben nicht nur in Bezug auf An-ni mit dem Wetter verknüpft war.
Wolf Haas Na ja. Liebesleben ist gut. Im Nachhinein wundert man sich ja fast, oder ich hab mich jedenfalls immer darüber gewundert, dass er überhaupt versuchte, sozusagen ein ordnungsgemäßes Sexualleben zu etablieren. Er hätte doch sagen können, mich interessiert das Ganze nicht, mich interessiert nur das Wetter im Urlaubsort meiner Kindheit und aus.
Literaturbeilage Stattdessen hat er mehrmals richtige Beziehungen mit Frauen angebahnt.
Wolf Haas Er hat sich wirklich Mühe gegeben. Das ganze Kinogehen und Essengehen und Wohnunggehen und Kerzenlicht und Musik und Drinks, das hat der alles durchlaufen. Nur im entscheidenden Moment ist es eben immer mit ihm durchgegangen.
Literaturbeilage Und er hat angefangen, über das Wetter zu reden.
Wolf Haas Über das längst vergangene.
Literaturbeilage In Annis Dorf.
Wolf Haas Und zwar im unmöglichsten Moment! Am Anfang war's ihnen noch recht. Das war ja in der Kennenlernphase immer sein Bonus. Ein sensibler Mann, mit dem man über das Wetter reden kann, und so weiter.
Literaturbeilage Obwohl ihn das ja nicht interessiert hat auf dem Normalverbraucher-Level.
Wolf Haas Da hat er wirklich Kompromisse gemacht! Er hat sich überwunden! Das wundert mich im Nachhinein am meisten. Dass er sich doch so verbogen hat.
Literaturbeilage Er hat eben gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Zumindest nach landläufiger Meinung. Es gibt einfach in unserer Gesellschaft diesen Normalitätsdruck.
Wolf Haas Darum hat er sich - also zumindest in der Zeit vor dem TV-Auftritt - bereitwillig auf Wetter-Normalverbraucherniveau unterhalten, und natürlich konnte er besser über das Wetter reden als normale Männer.
Literaturbeilage Im Buch betont Kowalski, dass er sogar bereit war, über „weiche Themen" zu sprechen.
Wolf Haas Ja Wetterfühligkeit. Biowetter und so weiter. Das war natürlich Thema Nummer eins bei den WetterNormalverbraucherinnen. Da ist er nicht drum herumgekommen, das hat er irgendwann eingesehen. Wetterfühligkeit ist ja wirklich ein unerschöpfliches Thema.
Literaturbeilage Das ist herrlich, welche Formen er da aufzählt. Von der „allgemeinen Wetterempfindlichkeit" bis hin zur „echten Vorfühligkeit".
Wolf Haas Ja, Vorfühligkeit ist schon ein Superwort, find ich auch. Ich hab den ersten Liebesroman geschrieben, in dem das Wort „Vorfühligkeit" vorkommt.
Literaturbeilage Das kann Ihnen niemand mehr nehmen.
Wolf Haas Mit ihren Hauptsymptomen wie Müdigkeit, Abgespanntheit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen, Knochenbruchschmerzen, Schwindelanfällen, Narben- und Phantomschmerzen und Atemnot.
Literaturbeilage Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt als Wetter-Normalverbraucherin oute. Aber ich fand das sehr schön mit den tierischen Wetterboten.
Wolf Haas Manche mögen auch die Bauernregeln besonders, gereimt und ungereimt, Siebenschläfertag, dann Mondeinflüsse und eben tierische Wetterboten, Schwalben, Spinnen, Bienen, Frösche, Ameisen und Schnecken.
Literaturbeilage Nur die Stechmücken hat er gefürchtet.
Wolf Haas Die Stechmücken waren natürlich ein gefährliches Thema für ihn. Weil sie ihn sozusagen schnurstracks auf die schiefe Bahn brachten.
Literaturbeilage Auf die schiefe Bahn Richtung Wetter vor fünfzehn Jahren in Annis Heimat.
Wolf Haas Eben. Werden die Stechmücken statt bei Sonnenuntergang schon am Nachmittag aggressiv, kommt ein Gewitter. Das hatte für ihn natürlich eine andere Bedeutung als irgendwelche Schnecken, die den Grashalm hinaufklettern. Oder meinetwegen Ameisen, die ihre Brut in den Bau tragen.
Literaturbeilage Aber wenn es nicht die Stechmücken waren, dann
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