Das Wetter vor 15 Jahren
die Lippen gespült haben. Denn über dem Surren und Pochen in meinen Ohren hörte ich mich laut und deutlich sagen, ja fast schreien: Das ist eine Frechheit!"
Wolf Haas Und die beiden brechen in Gelächter aus, weil sie glauben, Selbstironie. Lukki nimmt den Ball gekonnt auf und wiederholt lachend: „Eine Frechheit! Das sagen alle!" Dabei schüttelt er ihm begeistert die Hand und scherzt weiter: „Aber es kann sie eben nur einer heiraten."
Literaturbeilage Ich finde es sehr interessant, dass Sie an der Stelle von der Ebene des Gesprächs sofort auf die massive körperliche Präsenz von Anni und Lukki umschwenken.
Wolf Haas Meinen Sie die Umarmungen?
Literaturbeilage Sie betonen, dass Lukki nochmal einen Kopf größer war als Annis Vater, der seinerseits bereits einen Kopf größer als Vittorios Vater gewesen sei.
Wolf Haas Das war eben, weil bei den Bergmännern die Kleinen besser dran waren. So eine Art GrubenDarwinismus.
Literaturbeilage Und als Anni ihn umarmt, empfindet Vittorio ihren Geruch wörtlich als „besser als Wald und Tankstelle zusammen".
Wolf Haas Da steckt jetzt keine großartige Absicht dahinter. Sie umarmen sich. Wenn man umarmt wird, fällt einem eben auf, dass sich da ein Riese zu einem herabbeugt.
Literaturbeilage Oder dass die Frau besser als Wald und Tankstelle zusammen riecht.
Wolf Haas Weil er am Abend dreißig Kilometer vor Farmach noch getankt hatte. Diese Tankstelle mitten im Wald gibt's wirklich. Und da ist ihm eben dieser betörende Geruch aufgefallen, dieses Gemisch der Waldgerüche und der giftigen Tankstellendämpfe.
Literaturbeilage Die betörenden Industriedämpfe kommen ja öfter in diesem Roman vor. Das Heu, das wie der frische Teer duftet, mit dem Annis Vater die Einfahrt betonierte.
Wolf Haas Asphaltierte! Wahrscheinlich hab ich ein Faible für diese Gerüche, weil ich als Kind auf einer Tankstelle gearbeitet habe. So wie Vittorios Gehirn vielleicht durch den regelmäßigen Sauerstoffentzug beim Untertauchen im Waldbad beschädigt wurde, so meines durch die Benzindämpfe. Am ersten Tag wurde mir schlecht, aber am zweiten Tag fand ich's schon ziemlich gut. Und ab dem dritten Tag hab ich die Nase schon extra näher an den Tank gehalten. Damals hat es ja noch keine Selbstbedienungstankstellen gegeben, da ist man noch auf seine Kosten gekommen als Tankwart. Und das andere hab ich bei Faulkner gestohlen.
Literaturbeilage Was haben Sie bei Faulkner geklaut? Hab ich da was übersehen?
Wolf Haas Wo es immer heißt „Caddy roch nach Bäumen", das hat mir immer wahnsinnig gefallen, und deshalb riecht Anni nach Wald. Aber von mir kommt eben die Tankstelle.
Literaturbeilage Das Erste, was Anni zu ihm sagt, ist interessanterweise der Satz: „Gut schaust du aus."
Wolf Haas Das sagt man eben so, wenn man wen lange nicht mehr gesehen hat: Gut schaust du aus.
Literaturbeilage Und Lukki sagt: „Wir haben dich ja im Fernsehen gesehen."
Wolf Haas Man beachte das „ja"! Gut schaust du aus, wir haben dich ja im Fernsehen gesehen. Eine fiese, versteckte Begründung: Weil sie ihn im Fernsehen gesehen haben, sieht er plötzlich besser aus.
Literaturbeilage Das kommt mir jetzt fast zu hart interpretiert vor. Man kriegt beim Lesen doch den Eindruck, dass die beiden sich würklich freuen, ihren alten Ferienfreund, den sie noch dazu im Fernsehen gesehen haben, wiederzusehen.
Wolf Haas Ja klar. Lukki war vollkommen arglos in der Situation. Er hat das nicht böse gemeint, da haben Sie schon Recht. So siegesgewisse Menschen sind ja auch nicht so misstrauisch. Darum hat Lukki auch den Fernsehauftritt gar nicht direkt auf Anni bezogen! Er war jetzt richtig überschwänglich, hat ihm seine Pranke auf die Schulter gelegt und ihm zu seinem Auftritt gratuliert.
Literaturbeilage Ja schrecklich.
Wolf Haas Das finden Sie schrecklich?
Literaturbeilage Es tut so weh, wie Lukki ihn mitten in seiner maßlosen Enttäuschung hochleben lässt mit seinem enervierenden: Du warst so super!
Wolf Haas „Du, des wor suppa! Gonz suppa!"
Literaturbeilage Hören Sie auf damit! Das war mir schon beim Lesen fast too much. Da tut einem Vittorio richtig leid.
Wolf Haas Ja, das soll er aber auch.
Literaturbeilage Aber da ist er so klein, das ist kaum noch zu ertragen. Das kennt man ja auch selbst ürgend-wie aus dem eigenen Leben, so als Einzelner mit einem demonstrativ glücklichen Paar. Das ist doch unerträglich. Sogar, wenn man den beiden neutral gegenübersteht. Und dann erst, wo der Arme doch selbst
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