Das Wetter vor 15 Jahren
in Anni verliebt ist.
Wolf Haas Andererseits muss man auch sehen, dass die beiden eigentlich wahnsinnig nett zu ihm waren. Sie haben ihn wirklich herzlich willkommen geheißen. Also da wurde er wesentlich freundlicher begrüßt als in all den Jahren als Touristenkind. Sie hätten ihn ja auch komplett ignorieren können.
Literaturbeilage Mich hat nur gewundert, dass er nicht gleich abgereist ist. Also ich hätte in so einer Situation sofort meine Koffer gepackt.
Wolf Haas Er wollte wenigstens noch die zwei Nächte bleiben, die er gebucht hat. Damit es nicht so blöd ausschaut. Auf keinen Fall bis zur Hochzeit. Sie haben ihn ja natürlich sofort zur Hochzeit eingeladen. Sogar mit Übernachtung auf Hotelkosten!
Literaturbeilage Und am Abend kommt es dann zu dem Eklat mit dem Hochzeitskleid.
Wolf Haas Ja, Eklat war's keiner. Einfach eine Demütigung.
Literaturbeilage Jedenfalls die entscheidende Begegnung zwischen den beiden.
Wolf Haas Es war schon ein ziemlicher Tiefschlag, dass Anni ihn, während Lukki mit seinem Jeep unterwegs war, in ihr Schlafzimmer gebeten hat, um ihm das Hochzeitskleid vorzuführen. Weil man es dem Mann ja nicht vorher zeigen darf. Aber ihm durfte sie es natürlich zeigen!
Literaturbeilage Als wäre er eine Freundin oder so.
Wolf Haas Genau!
Literaturbeilage Das war würklich nicht sehr charmant, dass sie das auch noch so gesagt hat. „Dem Mann darf man es nicht zeigen. Das bringt Unglück. Aber dir kann ich es ja zeigen."
Wolf Haas Ich hätte mir an seiner Stelle die Kugel gegeben.
Literaturbeilage Also ich fände es doch angebracht, dass man das Ganze auch mal aus Annis Warte betrachtet. Vielleicht hat sie es sogar absichtlich getan! Einfach um ein deutliches Signal zu setzen. Das hat doch auch was Aufdringliches, wenn jemand da mit so einer bombastischen Liebeserklärung übers Fernsehen kommt.
Wolf Haas Sag ich ja, dass ihr das eher geholfen hat. Obwohl - bombastisch kann man seinen Auftritt nicht nennen. Dazu war er viel zu diskret. Bombastisch wäre es gewesen, wenn er sie erwähnt hätte.
Literaturbeilage Und dann steht er auch noch in der Tür. Sie wollte eben, dass er es würklich glaubt, also akzeptiert, dass sie einen anderen heiratet. Für sie war es doch auch nicht einfach!
Wolf Haas Ich glaub auch, dass es ihr voll bewusst war, was sie da macht. Also dass sie einfach klare Verhältnisse wollte.
Literaturbeilage Deshalb hat sie es wohl auch so entschieden gesagt: „Dir kann ich es ja zeigen." Eigentlich ist das, psychologisch betrachtet, eine sehr gesunde Grenzziehung.
Wolf Haas Dass sie ihn zurückstößt, kann man ihr auch nicht vorwerfen. Aber dass sie es, gelinde gesagt, so verführerisch macht, das ist -
Literaturbeilage - ein bisschen gemein. Zumindest so, wie es im Roman geschildert wird.
Wolf Haas Ach, bin jetzt ich dran schuld?
Literaturbeilage Außerdem finde ich, dass gerade diese kleine Unkorrektheit Anni zu einer lebendigen Figur macht. Sie hat eben auch ihre Schwächen. Wie ich überhaupt sagen muss, dass mir Anni sehr sympathisch ist. Trotz dieser vielleicht etwas fragwürdigen Aktion mit dem Hochzeitskleid im Schlafzimmer.
Wolf Haas Na sehen Sie! Mir auch! Und die Aktion mit dem Hochzeitskleid hab ich sogar noch extra so geschrieben, dass diese Grenzziehungsperspektive - Sie sagen das mit der Grenzziehung so, als hätten Sie das jetzt erst im Gespräch sozusagen von außen hineingebracht.
Literaturbeilage Nein, das lassen Sie im Buch schon zu, aber -
Wolf Haas Darum geht's doch bei der Stelle im Buch. Das kommt doch klar heraus, dass sie unter Druck war! Warum heißt es dann immer, dass Annis Perspektive zu wenig vorkommt?
Literaturbeilage Ich hätte aber gern mehr über sie erfahren. Passagenweise würkt sie wie eine reine Projektionsfläche.
Wolf Haas Soll ich vielleicht hinschreiben, dass sie brav Müll trennt, oder was?
Literaturbeilage Warum nicht? Wenn es etwas aussagt über sie.
Wolf Haas Das geht aber nicht. Man kann nicht über einen Menschen mehr erfahren, und er ist immer noch sympathisch. Sympathisch ist ein Mensch, weil man nicht zu viel über ihn weiß.
Literaturbeilage Aber ihrer etwas rücksichtslosen Abgrenzungsmethode, ihm das Hochzeitskleid vorzuführen, haben Sie ausreichend Platz eingeräumt.
Wolf Haas Um sich abzugrenzen, hätte sie ihn doch auch einfach heimschicken können. Das wäre wesentlich humaner gewesen.
Literaturbeilage Aber gerade die Gemeinheit zeigt doch, dass sie keineswegs so unbeteiligt ist, wie sie
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