Das wilde Herz der Highlands
seine ausgeprägte Männlichkeit hatte bewirkt, was ihre mangelnde damenhafte Sittsamkeit nicht hatte bewerkstelligen können. Seonaid war die Lust darauf vergangen, den Kopf ins Wasser zu tauchen, um wieder klar denken zu können. Sie hatte gehofft, dass ihr nach einer Erfrischung vielleicht eine neue Möglichkeit einfallen würde, ihrem Verlobten zu entwischen, aber wie es aussah, würde sie vorerst mit verworrenen Gedanken leben müssen. Der Wirrwarr in ihrem Kopf war seit ihrem Erwachen gar noch größer geworden, musste sie sich eingestehen. Der Bursche hatte sie mit seinem kleinen Schauspiel mächtig durcheinandergebracht. Nun war sie umso verzweifelter entschlossen, Hochzeit und Brautbett zu entgehen, und Verzweiflung hatte sich noch nie als vorteilhaft erwiesen, wenn es darum ging, sich einen Plan zurechtzulegen.
„Habt Ihr etwa vor, den ganzen Tag dort herumzustehen?“
Blake blinzelte ob dieser Frage, die ihn an seine Äußerung Seonaid gegenüber gemahnte. Er blickte über die Schulter und erspähte Rolfe Kenwick am Ufer, begnügte sich mit einem Achselzucken als Antwort und wandte sich wieder dem Wasser und seinen Grübeleien zu. Derart gedankenverloren stand er schon da, seit Seonaid ins Lager zurückgeeilt war. Die Frau war ihm ein Rätsel. Er war überzeugt, dass nicht etwa ihr Gefühl für Anstand sie zur Flucht veranlasst hatte - immerhin hatte sie ihn recht dreist angestarrt, bevor er sich umgedreht und ihr seine Vorderseite präsentiert hatte. Ihr kühner Blick hatte ihn nicht überrascht. Als er und Gavin den drei Frauen hinterhergeritten waren, hatte er mehr über Seonaids ungewöhnliche Erziehung erfahren.
Gavin hatte so einiges über die Tochter des Laird zu sagen gehabt, und das meiste davon war ein Loblied gewesen. Die Mutter war kurz nach Unterzeichnung des Verlobungsvertrags gestorben. Eigentlich hätte Seonaid von einer der Frauen behütet werden sollen, was jedoch nicht in ihrem Sinne gewesen war. Nachdem sie ihre Mutter verloren hatte, schien sie sich umso fester an Bruder und Vater zu klammern, als fürchte sie, dass auch diese sie verlassen und „zu den Engeln gehen“ könnten, wenn sie die beiden nur einen Moment aus den Augen ließ. Angus Dunbar hatte es nicht ertragen, seine Tochter weinen zu sehen, wenn er sie zurückließ, und so hatte er stets beide Kinder um sich gehabt, wann immer ihm dies möglich war. Gavin hatte berichtet, dass Bruder und Schwester dem Laird Hand in Hand wie Schatten über den Burghof gefolgt seien, während er die Waffenübungen seiner Männer beaufsichtigt und sich um die Angelegenheiten des Clans gekümmert habe. Als Angus Dunbars Bruder getötet wurde und dessen Kinder Aeldra und Allistair auf die Burg kamen, hatten sie sich zu der Gruppe hinzugesellt, die Laird Angus überallhin folgte.
Als Duncan und Allistair alt genug waren, um im Kampf ausgebildet zu werden, fand niemand etwas Seltsames daran, dass auch Seonaid und Aeldra mit dabei waren. Beide Mädchen erwiesen sich als überaus begnadet und talentiert, was das Kriegshandwerk anging, und machten ihren Mangel an Stärke durch Köpfchen und Wendigkeit wett. Da sie praktisch am Übungsgrund groß geworden und durch den jahrelangen Umgang mit ihren Brüdern nicht eben zimperlich waren, schreckte keine der beiden vor der Gefahr einer möglichen Verletzung zurück. Die zwei jungen Frauen schwangen das Schwert so selbstverständlich wie andere Mädchen ihres Alters die Nadel.
Blake hatte Gavin gebannt gelauscht. Nie zuvor hatte er eine Frau wie Seonaid getroffen. Ihre Schwägerin, die hochgeschätzte Lady Iliana, hatte einige vergebliche Versuche unternommen, eine Dame aus ihr zu machen. Abgesehen davon hatte Seonaid keinerlei Erziehung in dieser Hinsicht genossen. Ihre Ausbildung hatte darin bestanden, herumzutoben, zu kämpfen und mit den Dunbar-Kriegern auf die Jagd zu gehen. Neben diversen anderen Kriegskünsten hatte man ihr beigebracht, mit dem eigens für sie gefertigten Schwert umzugehen und einen Pfeil ebenso zielsicher abzuschießen wie ihr Bruder.
Seonaid war von den zarten Blumen, die bei Hofe sprossen, so weit entfernt wie sein bester Freund, der viel gerühmte Kämpe Amaury. Der gute Bischof hatte gar nicht einmal so falsch gelegen, als er die beiden verglichen hatte, und hatte diese Vorstellung Blake zunächst entsetzt, fand er die Frau nun, da er sie kennengelernt hatte, recht faszinierend. Jedenfalls war sie kurzweiliger als die Damen, mit denen er so oft bei Hofe getändelt
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