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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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plötzlich wiederauftauchen, nackt auf den Straßen herumlaufen und häßliche Wörter brüllen würde. Manchmal zirkulierten Falschmeldungen, er sei da oder dort gesehen worden, doch Herr Stern tauchte nie wieder auf.
    Es kam der Frühling, und an einem strahlenden Tag stürzte der Waldhüter Subic, der gerade eine Schneckenspur auf einer Buche betrachtete, über ein weißes, wurzelartiges Ding. Dieses wurzelartige Ding war ein menschlicher Arm, der rechte Arm von Herrn Stern. Die Untersuchung wurde wiederaufgenommen und blieb neuerlich ergebnislos. Nur soviel ließ sich feststellen, daß der Arm einfach vom Körper abgerissen war, nicht lange, bevor man ihn fand, und daß sich Herr Stern nach seinem Verschwinden einige Wochen im Wald aufgehalten haben mochte. Die Tage vergingen, und um Herrn Stern wurde es wieder still. Nur Rechtsanwalt Czernisewsky kam nicht zur Ruhe und zerbrach sich über das Schicksal seines Freundes den Kopf. Eines Tages suchte er den Waldhüter Subic auf und fragte ihn, was er denn über den Fall des seligen Herrn Stern denke.
    Von mir aus kann man ihn auch den heiligen Herrn Stern nennen, nuschelte der Waldhüter Subic.
    Den heiligen? fragte Rechtsanwalt Czernisewsky staunend.
    Den heiligen, sagte Waldhüter Subic.
    Rechtsanwalt Czernisewsky schüttelte ärgerlich den Kopf, das habe er überhaupt nicht gemeint, sondern die seltsame Tatsache, daß Herrn Sterns Arm vorhanden, die übrigen Körperteile jedoch unauffindbar seien.
    Da müssen Sie Gott fragen, sagte Waldhüter Subic mit einer Kopfbewegung gen Himmel.
    Wie denn, staunte Rechtsanwalt Czernisewsky.
    Er habe ihn zu sich genommen, sagte achselzuckend Waldhüter Subic, der sich über nichts wunderte, was im Wald geschah. Er zuckte nochmals mit den Schultern, um dann hinzuzufügen, daß sich dergleichen hier im Wald öfters zutrage. Auch mit Herrn Stern sei nichts anderes geschehen, als daß ihn Gott zugrunde gerichtet, dann aber doch Mitleid mit ihm bekommen und ihn, um sein Leiden zu beenden, in den Himmel hinaufgerissen habe. Wahrscheinlich habe Herr Stern sich widersetzt und noch bleiben wollen. Trotz all seines Leidens und seines Elends habe er sich an die Erde geklammert, mit solcher Kraft, daß sogar Gott ihn nicht so ohne weiteres habe holen können. Schließlich sei der Arm von Herrn Stern einfach abgerissen. So sprach der Waldhüter Subic, räusperte sich achselzuckend und spuckte in hohem Bogen aus, auf die Erde, an die sich Herr Stern auch ohne Worte so sehr geklammert hatte, daß sein Arm hiergeblieben war.
     
    Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer

György Dragomán
    Radarstation
    Unterm Kreuz
    B ei klarem Wetter konnte Árendás von oben, von der Spitze des Strommastes aus, die ganze Talsperre bis zum Staudamm überblicken, sogar die Landesgrenze war von hier aus zu sehen und die alte Demarkationslinie. Er erklomm jedoch nur selten die Mastspitze, an der das Kreuz hing; wenn er sehen wollte, ob Kundschaft kam, mußte er nur bis zu der Stelle hinaufsteigen, wo die Radarteller angebracht gewesen waren, bevor die Bomben sie zerstört hatten, es war unnötig, auch noch den wackligen Strommast hinaufzuklettern und sich dabei Hände und Kleider mit Teer dreckig zu machen.
    Der erste Besucher an diesem Tag war noch gut zwei Kilometer entfernt, Árendás brauchte das Fernglas gar nicht erst hervorzuholen, um schon am Gang zu erkennen, daß es sich um eine Frau mittleren Alters handelte. Er wußte, daß noch genug Zeit war für einen Tee, stellte den Primuskocher an und holte den Blechbecher.
    Er hatte den zweiten Becher fast ausgetrunken, als die Frau endlich bei ihm ankam, sie war etwas jünger, als Árendás geschätzt hatte, ihr Atem ging schnell, und das schwarze Tuch war ihr vom Kopf gerutscht.
    Árendás erhob sich, ging ihr entgegen, reichte ihr den Becher: Trinken Sie, das wird Sie beruhigen, sagte er. Guten Tag übrigens.
    Die Frau nahm den Becher und schnupperte, dann trank sie bedächtig den Rest seines Pfefferminztees mit Honig. Nachdem sie ausgetrunken hatte, wischte sie sich mit dem Ärmel ihres schwarzen Pullovers den Mund ab und gab Árendás den Becher zurück. Stimmt es, was die Leute sagen? fragte sie.
    Árendás zuckte die Achseln. Ich weiß nicht, sagte er. Ich habe es nur einmal gesehen. Aber wenn Sie schon hier raufgekommen sind, können Sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Haben Sie das Geld dabei?
    Ja, sagte die Frau und überreichte ihm einen Umschlag. Alles da, wie vereinbart, sagte

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