Das wilde Leben
bis sie dann, beide Hände aufs Gesicht gepreßt, hinter der Zeltplane hervorkam; ihr ganzer Körper bebte vom Weinen. Árendás trat auf sie zu, reichte ihr die Tüte mit dem Taschentuch, nehmen Sie es, sagte er, es ist sauber, steril.
Die Frau wollte das Taschentuch nicht, blickte Árendás auch nicht an, sondern lief fort, sie schnappte sich ihren Rucksack vom Boden und rannte beinahe zum schmalen Bergpfad hinunter.
Árendás legte das grüne, frisch gestärkte Taschentuch in die Papiertüte zurück und faltete sie zu. Das Taschentuch ist im Preis inbegriffen, rief er der Frau nach, doch er wußte, daß sie sich dafür nicht mehr umdrehen würde, er machte eine wegwerfende Geste und steckte die Tüte zurück in den Behälter mit den anderen Tüten, der sich an der Seitenwand des Metallschrankes befand. Sei's drum, sagte er sich, dann bekommt es halt der nächste. Er nahm die Zigarette und zog kräftig an ihr. Er blickte hinauf zu dem aus kaputten Skiern zusammengenagelten Kreuz, das oben an der Mastspitze im aufkommenden Wind klapperte.
Die Blume
Am Jahrestag des Bombenangriffs wurde Árendás von Donnerschlägen geweckt, doch noch im Schlafsack liegend sah er, daß der Himmel klar und wolkenlos war. Eilig arbei
tete er sich aus seiner gefütterten orangegelben Verpackung, schlüpfte in seine Stiefel, warf sich den Wollmantel über, nahm das Fernglas aus dem wasserresistenten Metallschränkchen, kroch aus dem windgeschützten Unterschlupf zwischen der Felsenwand und dem intakt gebliebenen Mauerstück des ehemaligen Bunkers und stieg dann die Geröllhalde über dem Eingang des Radarraums hinauf; weiße Kondensstreifen zogen sich über den Himmel, die Jagdflugzeuge waren nur noch winzige, sich rasch entfernende dreieckige Pünktchen im endlosen Blau, Árendás brauchte das Fernglas gar nicht mehr anzusetzen, er wußte, daß es dort oben nicht mehr viel zu sehen gab.
Er wollte schon zu seinem Schlafsack zurück, als er Motorenlärm hörte, die Maschine näherte sich von Osten her, Árendás blinzelte in die Sonne, die Maschine war schon ziemlich nah, kein Jagdflugzeug, dafür flog es viel zu tief, die Bomber, dachte Árendás, das könnten die Bomber gewesen sein, die Wochenschau hatte Bilder von schwarzen Zylindern gezeigt, die aus den Bombenkammern herausfielen, von Kameras aufgenommen, die sich an den Bäuchen der Flugzeuge befanden. Er versuchte, sich die Explosionen vorzustellen, wie es wohl gewesen war, als die ganze Bergspitze erbebte, und ob einer von der Besatzung der Radarstation damals auch zum Himmel hinaufgeguckt hatte, doch sogleich schämte er sich für diesen albernen Gedanken, die Bomber waren ja bestimmt nachts gekommen, und das Stationspersonal konnte nur noch versuchen, das Ganze im Schutz des Bunkers zu überstehen, von den Maschinen hätten sie höchstens noch die grünen Pünktchen auf den runden Radarschirmen erkennen können.
Immer noch sah er zum Flugzeug hinauf, es näherte sich,
der Motorenlärm hallte von überall herüber, und auf einmal fielen tatsächlich schwarze Pünktchen aus der Maschine, Árendás spürte, wie ihn die Angst packte und in Besitz nahm, bis er im nächsten Moment begriff, was sich abspielte: Fallschirmspringer! Vor Erleichterung mußte er das Wort laut aussprechen, er setzte das Fernglas an, Fallschirmspringer, tatsächlich, und sobald er sie im Fokus hatte, waren sie auch schon ganz nah beieinander, fünf Mann, die nun in geschlossener Formation durch die Luft stürzten, die Schirme öffneten sich, und als der grüne Stoff aufbauschte, sah Árendás, daß er richtig gezählt hatte, und als sie weiter unten waren, sah er auch die Tarnanzüge, die glänzenden schwarzen Helme und Schutzmasken, und dann waren mit bloßem Auge die Maschinenpistolen an ihren Gürteln zu erkennen. Árendás ging zurück zur Zeltplane, um die kleinere Flasche Pflaumenschnaps aus dem Schlafsack zu holen.
Als er wieder vor die Felsenöffnung trat, befanden sich die Fallschirmjäger nur noch wenige Meter über dem aus kaputten Skiern gebastelten Kreuz oben am Strommast, Árendás sah die Tannenzweige um ihre Schultern, eine aberwitzige Ergänzung ihrer Tarnkleidung, und dann standen sie auch schon auf dem Boden, zwei von ihnen auf dem Felsabhang über dem Eingang des Radarraums, zwei auf der geborstenen Betonplatte, wo sich früher die oberste Station der Seilbahn befunden hatte; der fünfte war nirgends zu sehen, vermutlich war er irgendwo hinter der Felsenspitze gelandet, dort, wo
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