Das wird mein Jahr
brauchte ich auch eine eigene Wohnung mit neuen Möbeln und Küchengeräten, vor allem einen guten Backofen für diesen genialen Tiefkühlfraß. Und wie wäre es mit einer schicken Gitarre, einem ordentlichen Verstärker und diesen Bodeneffektgeräten von Boss? Aber das Allerwichtigste war: Ein Westauto. Nicht nur einen Ford Fiesta, am besten ein Wohnmobil, so einen VW-Bus wie damals am Balaton. Ja, das alles brauchte ich jetzt ganz dringend, um in mein neues Leben als Bundesbürger zu starten. Jetzt sofort! Wo war das nächste Kaufhaus?Wo war der Neckermann-Katalog? Gab es da nicht auch Sachen auf Teilzahlung?
In meinem Kopf schwirrten die Preise durcheinander, alles drehte sich. Das musste der Konsum-Koller sein, ich war das alles nicht gewöhnt.
Ich fuhr den Warti rechts ran, leierte die Seitenscheibe runter und atmete tief durch. Langsam kam ich wieder zu mir.
Bier! Ich brauchte ein Beruhigungsbier und anschließend noch ein Feierbier, um meinen neuen Job zu begießen. Hier im Westen durfte man doch auch noch mit 0,5 Promille fahren. Hatte mir Andi erzählt. Das nenn ich Freiheit.
Zwanzig Meter vor mir sah ich in einem Haus an der Straße einen Imbiss: »Ali und die 40 Döner«. Was zu essen könnte ich jetzt auch verdrücken. Ich stieg aus und lief rüber.
»Salam, mein Freund.« Der Mann hinter dem Tresen begrüßte mich überschwänglich, fast so, als ob wir uns kennen würden. Er hatte kurze, tiefschwarze Haare.
»Guten Tag«, grüßte ich zurück. Hinter ihm an der Wand stand auf einem großen Schild das Speisenangebot. Ich las mich durch Wörter, die ich noch nie gehört hatte. Falafel, Döner Kebab, Börek – was sollte das nur sein? Immerhin roch es hier drin nach Essen. Da konnte ich ja nicht komplett falsch sein.
Der Mann hinterm Tresen schaute mich erwartungsvoll an. »Bitte schön?«
»Äh, einen Moment noch.« Etwas hilflos blickte ich mich um und entdeckte einen Kühlschrank mit Glastür gleichneben mir. Dort stapelten sich Coca Cola, Fanta und Bier in Dosen. »Ich nehme erst mal ein Bier«, sagte ich zu ihm und nahm mir eins raus. Er nickte freundlich, und ich setzte mich an einen kleinen Tisch, gleich neben dem Tresen. Im Hintergrund hörte man arabische Musik. Sie erinnerte mich an Abenteuerfilme aus meiner Kindheit, an Märkte voller Teppiche, Gewänder und trockener Hitze, an eine Welt, die ich nur aus dem Fernsehen kannte. Ich schaute wieder auf die riesige Speisekarte an der Wand und suchte nach irgendetwas, von dem ich mir annähernd vorstellen konnte, was ich da essen würde.
»Bist du Elvis?«, fragte mich plötzlich der Verkäufer. Er grinste mich an, wahrscheinlich kannte er von all den Stars, die Amerika in den letzten vierzig Jahren hervorgebracht hatte, nur ihn. Ich und Elvis! Kam Elvis etwa ausm Osten?
Ich schüttelte den Kopf. »Fragst du wegen der Frisur?«
»Ja.«
»Nein, die hab ich wegen Morrissey, dem Sänger von den Smiths. Also Ex-Sänger.«
»Den kenne ich nicht. Und der hat die Frisur von Elvis?«
»Keine Ahnung. Aber kann schon sein.« Ich öffnete meine Bierdose und trank einen kräftigen Schluck.
Der Verkäufer wischte mit einem Lappen den Tresen. »Elvis ist toll. Der kann so schön tanzen. Ich habe alle seine Filme gesehen«, erzählte er. »Willst du auch was essen, mein Freund?«
»Ja, schon. Aber ich kenne all diese Sachen nicht, die da oben stehen. Ich bin noch nicht so lange hier.« Wie blöd das klang. Wie ein kleines Kind, das sich irgendwo verlaufen hatte und einen Polizisten nach dem Weg fragte.
»Du kommst von drüben, hier … äh … DDR, Honecker, Mauer, Schießbefehl?«
»Ja, genau, von dort. Ich bin erst ein paar Tage hier.«
»Na dann, nochmals Salam alaikum, mein Freund.« Er verbeugte sich leicht. »Ich mach dir einen Teller mit arabischen Spezialitäten. Keine Angst, das kann man alles essen. Du bist eingeladen.«
Ich nickte ihm erleichtert zu. Salam alaikum – das hatten die in den Abenteuerfilmen auch immer gesagt.
»Das ist ein deutsches Norm-Gewächshaus nach DIN 11536. Zweischiffig, also zweimal neun Meter breit und vierzig Meter lang.« Herr Merk breitete seine Arme aus, als ob Winnetou seinem Blutsbruder Old Shatterhand erklärte, wie weit die Jagdgründe der Apachen reichten. »Hier werden Sie die erste Zeit arbeiten.« Wir standen in einem künstlich beleuchteten Gewächshaus bei angenehmen achtzehn Grad Celsius. Draußen war es noch dunkel. »Kommen Sie.«
Mein neuer Gärtnermeister schritt in schnellen Schritten
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