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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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schien alles perfekt.
    Nach der Rundfahrt klopfte mir ein älterer Herr auf die Schulter. »Wo sind Sie denn her, junger Mann?«, fragte er mich in feinstem Schwäbisch.
    »Aus Leipzig«, antwortete ich.
    »Da habt ihr es den Kommunisten aber gezeigt«, sagte er, drückte mir einen Fünfzig-D-Mark-Schein in die Hand und ging weiter.
    Diese Stadt war genau mein Ding!

5. Dirty Boots
    »Guten Tag, Herr Blumenstrauß. Ich muss gestehen, wenn der Arbeitsvermittler gestern am Telefon nicht Ihren Namen genannt hätte, wären Sie heute nicht in meinem Büro. Aber so war ich neugierig. Sie müssen ja die Gärtnerei im Blut haben.« Gärtnermeister Merk kam mir entgegen und zeigte auf einen freien Stuhl vor dem Schreibtisch in seinem Büro. Er war um die fünfzig, mit Schnurrbart und leichtem schwäbischen Dialekt. Seinen sauberen Klamotten entnahm ich, dass er nicht mehr selbst im Gewächshaus arbeiten musste. »Setzen Sie sich doch.« Auf dem riesigen Schreibtisch wartete gestapelter Papierkram auf Bearbeitung. »Und Sie kommen also aus dem Osten? Von wo denn genau?« Das Bewerbungsgespräch begann offenbar mit einer belanglosen Plauderei. Auch gut.
    »Aus Leipzig. Ich bin am 10. November rüber, also hierher.«
    »Ach, aus Leipzig. Da war ich mal in den 60er Jahren als junger Mann zur Messe. Und nun haben Sie die Chance genutzt, sind vor den Kommunisten geflohen und suchen Arbeit?«
    »Äh, ja, genau.«
    »Was haben Sie denn so gelernt, als Gärtner im Osten?«
    »Na ja, alles Mögliche: Baumverschnitt, Obstbaumveredelung, Kompostierung und vor allem Blumenaufzucht im Gewächshaus.« Andi hatte mir gestern Abend noch gesagt, dass ich in jedem Falle dick auftragen solle, aber nicht so, dass es gleich auffiel. Herr Merk schaute mich interessiert an und nickte stumm, während ich meine Qualifikationen runterspulte. Ich reichte ihm meinen Facharbeiterbrief rüber, auf dem die Abschlussnote »Gut« stand. Zuerst hatte ich überlegt, das Teil nicht mitzubringen, wegen des riesigen DDR-Emblems, aber andererseits musste ich ja irgendwas Amtliches vorlegen, damit er wusste, dass ich Ahnung von der Materie hatte. Er schaute sich alles bedächtig an.
    »Haben Sie einen Führerschein?«
    »Ja, für PKW, LKW und auch für Gabelstapler.«
    Herr Merk nickte wieder stumm, während er in meinen Papieren blätterte. »Alles klar, Herr Blumenstrauß. Also zunächst was zu meiner Firma. Meine Gärtnerei ist ein Familienbetrieb in der dritten Generation hier in Esslingen«, er wies mit der Hand auf gerahmte alte Schwarzweißfotos an der Wand, auf denen offenbar seine Vorfahren zu sehen waren, »und hat sich in den letzten zwanzig Jahren vor allem auf Gartenbau spezialisiert – Gestaltung, Pflanzung, Pflege und so weiter. Nicht das stümperhafte Rumgeschnippel einiger übereifriger Hausmeister an Bäumen und Sträuchern, sondern qualifizierte Facharbeit mit Sachverstand. Darüber hinaus gibt es hier auf dem Firmengelände einige Gewächshäuser, in denen wir unsere Setzlinge selber ziehen, bevor wir sie im Frühjahr auspflanzen. Aktuell sind wir bis Ende November vor allem mit der Laubbeseitigungbei unseren Kunden beschäftigt, mit der Winterfestmachung ihrer Gärten aber auch mit dem Anpflanzen von Laubbäumen und Sträuchern und so weiter und so fort. Was eben so anfällt. Das kennen Sie ja sicher.«
    Bemüht wissend, nickte ich. Jetzt durfte ich nicht schlappmachen, denn ich brauchte diesen Job. Meine Wunsch-Shopping-Liste war mittlerweile dicker als Katrins Neckermann-Katalog. Die täglichen zehn Kilometer Anfahrt von Stuttgart bis hierher würde ich in Kauf nehmen.
    »Haben Sie drüben im Osten solche Arbeiten auch schon erledigt? Bäume werden Sie doch gehabt haben. Oder hatte der Russe die als Reparation auch mit abtransportiert?« Er lachte kurz und laut über seinen Witz.
    »Nein, die Bäume hat man uns gelassen.« Ich versuchte ebenfalls zu lachen.
    »Können Sie sich denn vorstellen, solche Aufgaben schnell und sauber auszuführen? Sie müssen wissen, bei uns fällt nicht um sechzehn Uhr die Schaufel aus der Hand, sondern erst wenn die Arbeit gemacht ist. Wir sind hier ja nicht in so einer, so einer …« er suchte nach einem Wort, aber ich hatte keine Ahnung, was er meinte, »… einer Kolchose, einer LPG oder so was. Bei uns wird bei Bedarf auch am Wochenende gearbeitet. Die Arbeitszeit bestimmen immer die Kunden und die Pflanzen.«
    »Ja, natürlich, kein Problem«, sagte ich.
    Herr Merk hatte sich eine Zigarette angezündet und

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