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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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voran, vorbei an endlos langen Tischen voller Jungpflanzen, und ich eilte mit leichter Restmüdigkeit hinterher. Gestern hatte ich mit Andi und Katrin noch bis nachts um drei MTV geschaut und auf meinen neuen Job angestoßen. Jetzt spürte ich die fehlenden Stunden Schlaf. Dafür war ich in Bezug auf internationale Musikvideos auf dem aktuellen Stand.
    Vor einem Pflanztisch blieb er stehen. Dort hantierte bereits ein Mann. »Das ist der Herr Minor. Mit ihm werden Sie in den nächsten Tagen zusammenarbeiten. Er wird Sie hier in alles einführen.«
    Herr Minor blickte von seiner Arbeit auf und reichte mir seine schmutzige Hand zur Begrüßung. Er schien so um die Mitte dreißig zu sein und hatte einen schmalen Schnurrbart. »Hallo. Freut mich.«
    Das schnurlose Telefon von Herrn Merk klingelte. »Herr Minor, übernehmen Sie, bitte? Ich muss dann mal. Alles klar soweit? Bis später.« Er nahm das Telefonat entgegen und ging mit straffen Schritten Richtung Ausgang.
    »Hast du schon Arbeitskleidung bekommen?«, fragte mich Herr Minor, und ich schüttelte den Kopf. »Übrigens, ich heiße Miro.«
    »Friedemann.«
    Er gab mir mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen, und wir gingen aus dem Gewächshaus über den Hof zu den Nebengebäuden. In einer beheizten Garage, die als Pausenraum fungierte, standen Metallspinde, und Miro wühlte in einem Schrank verschiedene noch in Folie verpackte Kleidungsstücke hervor. »Was hast du denn für eine Größe?« Ich hatte keine Ahnung und probierte verschiedene Sachen an. Schließlich stand ich in dunkelgrüner Latzhose und Jacke da. Auf beiden Klamotten prangte ein leuchtend gelber Aufnäher: »Gärtnerei und Gartenbau Merk. Ihr freundlicher Gärtner.« Meine ersten West-Klamotten und für die Straße völlig untauglich. Na ja.
    Wir gingen wieder rüber ins Gewächshaus. »In der ersten Jahreshälfte haben wir hier meist alles voller Chrysanthemen, aber die sind schon alle raus«, erklärte mir Miro.
    »Womit fangen wir dann an?«, fragte ich ihn.
    »Wir müssen ganz dringend noch hinten den Rest der Eriken vermessen und sortieren, denn die werden morgenabgeholt. Bis vor ein paar Jahren war das hier ein supergroßes Geschäft, doch jetzt kommen die Pflanzen aus irgendeinem Billigland.«
    »Eriken vermessen?«, platzte es aus mir heraus. »Wirklich?«
    »Hast du wohl noch nie gemacht? Kein Problem, ich erklär dir, wie das geht«, entgegnete Miro.
    »Nicht nötig. Darin bin ich mittlerweile Vollprofi.« Miro schaute mich kurz verwundert an, und dann machten wir uns an die Arbeit.
    Während dem Frühstück saßen wir allein im Pausenraum. »Wo sind denn eigentlich die anderen Kollegen?«, fragte ich Miro.
    »Die sind alle im Außendienst, Gartenbau. Die müssen die Gärten der großen Villen winterfest machen. Da gibt es immer viel zu tun. Hier wohnen viele reiche Leute.« Miro machte diese Handbewegung, bei der man den Daumen am Zeigefinger reibt, als zählte man Geldscheine und goss sich aus seiner Thermoskanne Kaffee nach. »Du kommst nicht von hier?«
    »Nein, ich bin von drüben, also aus der DDR. Und du?« Mir war sein osteuropäischer Akzent aufgefallen.
    »Ungarn, bin aber seit fünf Jahren in Deutschland.« Miro trank von seinem Kaffee. »Ihr in der DDR habt euch alles viel zu lange gefallen lassen. In Ungarn war es nicht ganz so schlimm. Beim Volksaufstand 1956 in Budapest wurde an jedem zweiten Laternenmast ein Mitglied der ungarischen Geheimpolizei aufgehängt. Die hatten danach einfach mehr Respekt vor uns als die Stasi vor euch. Darum durften wir auch schon in den Westen reisen.« Für Mirowar ich offenbar so was wie ein Landsmann, etwa wie ein Franzose und ein Engländer in China. Ein kleines Europa, bestehend aus zwei Gärtnern in einem Pausenraum in Esslingen. Wo blieben nur die Kamerateams für Interviews?

6. Happiness Is Easy
    Ich saß nach Feierabend bei Andi in der Küche und aß aufgebackene Tiefkühlpizza. Den ganzen Tag hatte ich in der Gärtnerei saubergemacht. »Winterputz«, nannte das Herr Merk.
    Durch das Küchenfenster schaute ich raus in den dunklen Himmel, obwohl es noch nicht mal siebzehn Uhr war. Leise summte der Feierabendverkehr unten auf der Straße. Im Radio berichteten sie gerade von einem Zehn-Punkte-Programm, das Bundeskanzler Helmut Kohl heute im Bundestag vorgestellt hatte und in dem es um eine mögliche baldige Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ging. Ein Reporter befragte hierzu den SED-Generalsekretär Egon Krenz, der hingegen

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