Das wird mein Jahr
lieber eine Konföderation wollte. Ob der drüben überhaupt noch was zu sagen hatte? Egon Krenz im West-Radio. Klang das vielleicht komisch.
Katrin und Andi waren im Wohnzimmer. Ich hörte sie durch die angelehnte Tür diskutieren. Erst leise, dann zunehmend enthemmter, aber immer noch um Diskretion bemüht. Zumindest halbherzig. Der Honeymoon war wohl schon vorbei?
Nein, es ging um was anderes. Katrin sagte so was wie »… ›für vorübergehend‹ ist es aber schon ein paar Tage zuviel.«Andi entgegnete: »Ja schon, aber …« – »Dann klär das.« Der Fernseher ging an, und Musik ertönte.
Seit gut zwei Wochen wohnte ich jetzt bei ihnen. Natürlich nur »vorübergehend«. Für eine Dreier-WG war die Wohnung leider nicht geeignet. Mein Plan sah vor, in der Nähe eine kleine Wohnung für mich zu finden, denn ich kannte in Stuttgart außer den beiden niemanden, und wir waren ja Kumpels. Seit Tagen telefonierte ich mir wegen einer Bude die Finger wund. Doch egal auf welche Annonce ich mich meldete, ich war schon zu spät. Offenbar kauften die Wohnungssuchenden die Wochenendausgaben mit den Anzeigen noch nachts in der Druckerei.
Andi kam aus dem Wohnzimmer in die Küche und holte sich eine Coladose aus dem Kühlschrank. »Na, Friedemann, alles klar bei der Arbeit?«
»Danke, kann nicht klagen.«
Er setzte sich zu mir an den Tisch und blätterte in einigen Werbeprospekten. Nach einer Weile blickte Andi auf. »Ach so, Friedemann …« Andi beugte sich leicht zu mir rüber und senkte seine Stimme. »Na ja, wie soll ich sagen. Es ist wegen Katrin. Ihre Mutter kommt uns besuchen, und wir brauchen das Sofa im Wohnzimmer für sie. Verstehst du?« Andi rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Also ich meine … ich will dich hier auf keinen Fall rausschmeißen, aber … verstehst du?«
»Ja klar«, entgegnete ich nach kurzem Zögern. »Ich will ja nicht, dass du wegen mir noch Ärger mit deiner Liebsten bekommst.« Ich stand auf und holte mir aus dem Kühlschrank ebenfalls eine Cola. »Und was für ein Zufall: Gerade heute habe ich eine Zusage für eine Wohnung bekommen.Drüben in Esslingen, gleich in dem Wohngebiet bei der Gärtnerei, in einem von den Neubauten. Wollt ich euch gerade erzählen.« Ich klopfte an meine Jackentasche und ließ die Schlüssel vom Warti und Andis Wohnung klimpern. »Ich pack nur noch meine Sachen zusammen und dann bin ich weg.«
»Das ist ja super, Friedemann! Esslingen? Schade, so weit weg. Aber wir haben ja Autos, um uns zu besuchen.« Andi wirkte erleichtert. »Aber mach keine Hektik. Also wegen mir musst du jetzt nicht gleich Hals über Kopf hier raus. Wir wollen dich ja nicht vor die Tür setzen. Wir sind doch Kumpels«, sagte er.
»Nee du, das passt ganz gut heute, weil ich morgen zeitig bei der Arbeit sein muss.«
Andi nickte mir zu. »Ach so, verstehe. Na dann.«
Ich ging rüber ins Wohnzimmer, rollte meinen Schlafsack zusammen und nahm die Reisetasche, in der sich meine Klamotten befanden. Katrin schaute kurz zu mir und dann wieder auf den Fernseher. Madonna tanzte gerade für sie und sang irgendwas von »Express yourself«. Katrins Fuß wippte sanft im Takt. Andi kam und setzte sich zu ihr aufs Sofa. Madonna tanzte inzwischen auf einer großen Treppe in einem schwarzen Anzug und griff sich kurz in den Schritt wie Michael Jackson.
»Also, ich werd dann mal. Macht’s gut und vielen Dank für alles.« Katrin schaute mich an und nickte kurz. Ich legte den Wohnungsschlüssel auf den Tisch. »Viel Spaß mit eurem nächsten Besuch.« Ich warf noch einen flüchtigen Blick auf den Fernseher, wo man gerade Madonnas nackten Rücken sah.
»Ruf an, Friedemann, dann können wir uns fürs Wochenende verabreden«, rief mir Andi noch hinterher, als ich aus der Küche Ankes Rekorder holte. Keiner der beiden hatte mitbekommen, dass es ihrer gewesen war. Ich grüßte flüchtig und eilte die Treppen runter.
Das nächste freie Bett, in dem ich umsonst hätte übernachten können, befand sich knapp 500 Kilometer entfernt in Leipzig bei meinen Eltern. In einem anderen Land, in dem mich vielleicht schon die Feldjäger suchten. Keine wirkliche Alternative. Geld für ein Hotel oder eine Pension hatte ich nicht. Den kleinen Vorschuss von Herrn Merk auf mein erstes Gehalt brauchte ich für Fressalien. Der Rest würde erst Anfang Dezember auf mein Konto kommen.
Mit dem Warti fuhr ich zurück zur Gärtnerei. Mit etwas Glück war Herr Merk schon nach Hause gefahren und alle anderen Kollegen sowieso.
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