Das Wirken der Unendlichkeit
er ein völlig passiver, freundlicher alter Professor. Er hatte vor kurzem einen Herzanfall gehabt. Ich schien eine alte Leidenschaft bei ihm geweckt zu haben. »Meinen Sie nicht auch, daß Sie dem akademischen Studium mehr Aufmerksamkeit schenken sollten?« fuhr er fort. »Wäre es für Sie nicht besser, Sprachen zu studieren, anstatt mit der wissenschaftlichen Feldarbeit zu beginnen? Wir haben hier am Institut einen der berühmtesten Sprachwissenschaftler der Welt. An Ihrer Stelle würde ich zu seinen Füßen sitzen und alles in mich aufsaugen, was von ihm kommt. Wir haben auch eine überragende Kapazität in vergleichender Religionswissenschaft. Und es gibt bei uns sehr tüchtige Anthropologen, die unter dem Gesichtspunkt der Sprachwissenschaft und dem Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie über Verwandtschaftsformen in Kulturen auf der ganzen Welt gearbeitet haben. Junger Mann, Sie brauchen noch eine Menge Vorbereitung. Wenn Sie glauben, Sie könnten jetzt mit Feldarbeit beginnen, dann ist das ein Irrtum. Widmen Sie sich erst einmal Ihren Büchern. Das ist mein Rat.«
Unbelehrbar trug ich meine Idee einem jüngeren Professor vor. Er war noch weniger hilfreich. Er lachte mich einfach aus und erklärte, die Abhandlung, die ich schreiben wollte, sei eine Mickey-Maus-Abhandlung, und das was ich vorhabe, sei in keinerlei Hinsicht Anthropologie.
»Die Anthropologen heute«, erklärte er mit professoralem Ernst, »beschäftigen sich mit relevanten Themen. Die Wissenschaftler im Bereich der Medizin und Pharmazeutik haben bereits jede erdenkliche Heilpflanze auf der Welt in allen Aspekten untersucht. Auf diesem Gebiet gibt es überhaupt nichts mehr zu entdecken. Ihre Art des Datensammelns gehört an den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Inzwischen sind jedoch beinahe zwei Jahrhunderte vergangen. Haben Sie schon einmal etwas von Fortschritt gehört?!«
Er gab mir dann eine Definition und eine Rechtfertigung von Fortschritt und der Fähigkeit zur Vervollkommnung als zwei Themen einer philosophischen Erörterung, die, wie er sagte, für die Anthropologie von größter Relevanz sei.
»Anthropologie ist die einzige Wissenschaft«, fuhr er fort, »die das Konzept von Vervollkommnung und Fortschritt zweifelsfrei begründen kann. Gott sei Dank gibt es inmitten des Zynismus unserer Zeit noch einen Hoffnungsstrahl. Nur die Anthropologie kann die wirkliche Entwicklung von Kultur und sozialer Organisation aufzeigen. Nur die Anthropologen können der Menschheit den unanfechtbaren Beweis für den Fortschritt menschlichen Wissens erbringen. Die Kultur entwickelt sich, und nur die Anthropologen können Beispiele von Gesellschaften zeigen, die klar umrissene Plätze auf einer Linie des Fortschritts und der Vervollkommnung einnehmen. Das ist Anthropologie! Und nicht irgendwelche belanglose Feldarbeit, die überhaupt keine Feldarbeit ist, sondern lediglich Masturbation!« Das traf mich wie ein Schlag auf den Kopf. Mein letzter Ausweg war es, nach Arizona zu fahren, um mit zwei Anthropologen zu sprechen, die dort zu wissenschaftlicher Feldarbeit waren. Danach war ich bereit, das ganze Projekt aufzugeben. Ich konnte verstehen, was die beiden Professoren mir sagen wollten. Ich hätte ihnen nicht mehr zustimmen können. Meine Versuche mit Feldarbeit waren eindeutig naiv. Trotzdem wollte ich praktisch arbeiten. Ich hatte keine Lust, nur in Bibliotheken zu forschen.
In Arizona lernte ich einen sehr erfahrenen Anthropologen kennen, der viel über die Yaqui-Indianer von Arizona und Sonora, Mexiko, geschrieben hatte. Er war ausgesprochen freundlich. Er ließ mich weder abblitzen, noch gab er mir einen Rat. Er machte mich nur darauf aufmerksam, daß die Indianerstämme im Südwesten äußerst abgeschieden leben und daß diese Indianer Fremden, besonders spanischer Herkunft, misstrauten, ja sie sogar verachteten.
Einer seiner jüngeren Kollegen nahm allerdings kein Blatt vor den Mund. Er sagte, ich täte besser daran, botanische Bücher zu lesen. Er war auf diesem Gebiet eine Autorität, und seiner Ansicht nach war alles, was man über die Heilpflanzen im Südwesten wissen konnte, bereits in mehreren Veröffentlichungen systematisiert und besprochen. Er ging sogar so weit zu behaupten, daß alle heutigen Indianerheiler als Quellen genau diese Bücher benutzen und kaum noch irgendein traditionelles Wissen. Er nahm mir allen Wind aus den Segeln, als er erklärte, falls es noch unbekannte indianische Heilpraktiken gebe, dann würden die Indianer
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