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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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deutlich an ihn erinnern, daß es mich nicht überraschte, als er dich am Busbahnhof zu mir brachte. Als er dort mit mir redete, konnte ich ihm nicht helfen. Er war nicht derjenige, nach dem ich Ausschau hielt, aber ich habe ihm aus meiner Leere als Zauberer, aus meiner Stille als Zauberer, Gutes gewünscht. Aus diesem Grund weiß ich, daß er sich auf seiner letzten Fahrt bei den Menschen bedankt hat, die in seinem Leben wichtig für ihn waren.« Ich gestand Don Juan, daß er recht hatte. Es hatte so viele Dinge gegeben, die mir aufgefallen waren, aber damals keine Bedeutung für mich hatten, zum Beispiel die Begeisterung meines Freundes beim Anblick der Landschaft. Er hielt den Wagen an, nur um stundenlang die Berge in der Ferne zu betrachten oder ein Flußbett oder die Wüste. Ich hielt das nur für die alberne Sentimentalität eines Mannes im mittleren Alter. Ich gab ihm auch vorsichtig zu verstehen, daß er möglicherweise zuviel Whisky trank. Er antwortete, in hoffnungslosen Fällen schenke ein Schluck Whisky einem Mann einen Augenblick Frieden und Gelassenheit, einen Augenblick, der lange genug sei, um etwas nicht Wiederholbares genießen zu können.
    »Richtig, die Fahrt war nur für seine Augen«, erklärte Don Juan. »Zauberer unternehmen solche Reisen. Dabei ist nichts anderes wichtig als das, was ihre Augen aufnehmen können. Dein Freund hat sich von allem Überflüssigem befreit.«
    Ich gestand Don Juan, daß ich nicht wahrhaben wollte, was er mir über meinen sterbenden Freund gesagt hatte, weil ich auf einer unbekannten Ebene wusste, es war die Wahrheit.
    »Zauberer sagen nie etwas nur so dahin«, erwiderte er. »Ich achte sehr sorgfältig darauf, was ich zu dir oder zu einem anderen sage. Der Unterschied zwischen dir und mir besteht darin, daß ich überhaupt keine Zeit habe und mich dementsprechend verhalte. Du glaubst, alle Zeit der Welt zu haben, und entsprechend ist dein Verhalten. Die Folge unseres individuellen Verhaltens ist, daß ich mir alles, was ich tue und sage, gründlich überlege und du nicht.«
    Ich gab zu, er hatte recht. Aber ich versicherte ihm, daß alles, was er sagte, weder meinen inneren Aufruhr besänftige noch meine Trauer lindere. Dann brachen meine verwirrten Gefühle in allen ihren Schattierungen aus mir heraus. Ich sagte ihm, ich suche keinen Rat. Ich wolle, daß er mir eine Methode der Zauberer verordnete, die meine Qualen beenden werde. Ich glaubte, mir sei wirklich daran gelegen, daß er mir ein natürliches Beruhigungsmittel, ein organisches Valium verabreichte. Und das sagte ich ihm auch. Don Juan schüttelte verblüfft den Kopf.
    »Du gehst zu weit«, sagte er. »Als nächstes willst du ein Zaubermittel, das alles, was dich stört, ohne jede eigene Anstrengung entfernt: Du schluckst einfach das, was dir verabreicht wird. Je bitterer die Medizin, desto besser die Wirkung. Das ist die Parole der Menschen im Westen. Du möchtest Ergebnisse - ein Zaubertrunk, und du bist geheilt.
    Die Zauberer stellen sich den Dingen auf eine andere Art«, fuhr Don Juan fort. »Da sie keine Zeit zu verschwenden haben, widmen sie sich voll und ganz dem, was sich ihnen darbietet. Deine Aufregung ist die Folge mangelnder Besonnenheit. Du warst nicht vernünftig genug, dich bei deinem Freund auf die angemessene Weise zu bedanken. Diesen Fehler machen wir alle. Wir drücken nie aus, was wir empfinden. Und wenn wir es tun wollen, ist es zu spät, dann ist keine Zeit mehr. Nicht nur dein Freund hatte keine Zeit mehr dazu, du auch nicht. Du hättest dich in Arizona richtig bei ihm bedanken sollen. Er hat sich die Mühe gemacht, dir alles zu zeigen. Ob du es begreifst oder nicht, im Busbahnhof hat er dir das Beste gegeben, was er zu bieten hatte. Aber als du dich bei ihm hättest bedanken sollen, warst du wütend auf ihn - du hast ihn kritisiert. Er war unfreundlich zu dir oder was auch immer. Dann hast du den Besuch bei ihm hinausgezögert. In Wirklichkeit hast du damit gewartet, dich bei ihm zu bedanken. Jetzt sitzt dir ein Geist auf den Schultern. Du wirst ihm nie das zurückzahlen können, was du ihm schuldest.«
    Ich begriff die Tragweite seiner Worte. Ich hatte mein Tun noch nie unter einem solchen Aspekt betrachtet.
    Genau gesagt, ich hatte mich nie bei jemandem bedankt. Don Juan ließ nicht locker. »Dein Freund wusste, daß er sterben würde«, sagte er. »Er hat dir einen Abschiedsbrief geschrieben, um zu erfahren, wie es dir geht. Vielleicht kreiste sein letzter Gedanke um dich, ohne

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