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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Schalter, um sich das Geld erstatten zu lassen. Man notierte seinen Namen und gab ihm eine Quittung für das Ticket. Er würde das Geld in etwa sechs bis zwölf Wochen aus Tennessee erhalten, wo sich die Verwaltung der Fluggesellschaft befand.
    Wir fuhren in das Mietshaus zurück, in dem wir beide wohnten. Da er sich aus Angst, das Gesicht zu verlieren, diesmal von niemandem verabschiedet hatte, ahnte keiner, daß er wieder einmal versucht hatte, Los Angeles zu verlassen. Der einzige Haken bei der Sache war, daß er sein Auto verkauft hatte. Er bat mich, ihn zu seinen Eltern zu fahren, denn sein Vater würde ihm das Geld geben, mit dem er das Ticket gekauft hatte. Solange ich denken konnte, hatte ihm sein Vater aus allen Problemen herausgeholfen. Sein Vater sagte immer: »Keine Angst, mein Junge, Rodrigo Senior ist für dich da!« Als Rodrigo seine Bitte vorgetragen hatte, ihm das Geld zu leihen, damit er seine Schulden bezahlen konnte, sah der Vater meinen Freund mit dem traurigsten Gesicht, das ich je gesehen hatte, an. Er steckte selbst in großen finanziellen Schwierigkeiten. Er legte seinem Sohn den Arm um die Schulter und sagte: »Diesmal kann ich dir nicht helfen, mein Junge. Jetzt solltest du dich wirklich fürchten, denn Rodrigo Senior ist nicht mehr für dich da.«
    Ich wollte mich wie immer mit meinem Freund identifizieren und seine Tragödie wie stets mitempfinden. Aber es gelang mir nicht. Ich konzentrierte mich nur auf die Aussage des Vaters. Sie klang so endgültig, daß sie mich aufrüttelte.
    Ich machte mich sofort auf den Weg zu Don Juan. Ich ließ alles, was in Los Angeles auf mich wartete, zurück und fuhr nach Sonora. Ich berichtete ihm von der sonderbaren Stimmung, die sich im Umgang mit meinen Freunden in mir breitgemacht hatte. Schluchzend vor Schuldgefühlen gestand ich ihm, daß ich begonnen hatte, meine Freunde zu verurteilen.
    »Reg dich nicht grundlos auf«, erwiderte Don Juan ruhig. »Du weißt bereits, daß ein Abschnitt in deinem Leben zu Ende geht. Aber eine Ära geht erst dann wirklich zu Ende, wenn der König stirbt.« »Was meinst du damit, Don Juan?« »Du bist der König, und du bist wie deine Freunde. Das ist die Wahrheit, die dich bis ins Innerste erschüttert. Alles, was du tun kannst, ist, das als eine Tatsache zu akzeptieren, was du natürlich nicht kannst. Das andere, was du tun kannst, ist, dir zu sagen: >Ich bin nicht so. Ich bin nicht so.< Wiederhole dir, daß du nicht so bist. Ich verspreche dir allerdings, es wird der Moment kommen, in dem du erkennst, daß du so bist.«

 
Die unvermeidbare Begegnung
    Mir lastete etwas auf der Seele: Ich musste einen wichtigen Brief beantworten - und das unter allen Umständen. Eine Mischung aus Trägheit und dem aufrichtigen Wunsch zu gefallen, hatte den Brief bis jetzt verhindert. Mein Freund, der Anthropologe, dem ich die Begegnung mit Don Juan Matus verdankte, hatte mir einen Brief geschrieben, aber das war schon einige Monate her. Er wollte wissen, wie ich in meinem Anthropologiestudium vorankam, und bat mich, ihn zu besuchen. Ich hatte drei lange Briefe aufgesetzt. Als ich sie jedoch durchlas, fand ich sie so banal und verlogen, daß ich sie zerriß. Ich konnte darin nicht meine Dankbarkeit und die Echtheit meiner Gefühle für ihn zum Ausdruck bringen. Ich rechtfertigte das Hinauszögern der Antwort mit dem Entschluß, ihn zu besuchen. Ich wollte ihm persönlich berichten, was ich mit Don Juan Matus tat, aber ich schob den anstehenden Besuch immer wieder hinaus, weil ich nicht genau wusste, was ich mit Don Juan tat. Ich wollte meinem Freund eines Tages richtige Ergebnisse vorlegen. Im Augenblick hatte ich nur unbestimmte Vorstellungen, die man in seinen Augen keinesfalls als anthropologische Feldarbeit bezeichnen konnte. Eines Tages erfuhr ich durch Dritte, daß er gestorben war. Sein Tod löste bei mir eine jener gefährlich stummen Depressionen aus. Ich hatte keine Möglichkeit, meine Gefühle auszudrücken, denn ich machte mir selbst nicht ganz klar, was ich fühlte. Es war eine Mischung aus Niedergeschlagenheit, Verzweiflung und Selbstverachtung, weil ich seinen Brief nicht beantwortet und ihn nicht besucht hatte.
    Bald darauf fuhr ich zu Don Juan. Als ich in seinem Haus eintraf, setzte ich mich auf eine der Kisten unter dem Vordach und suchte nach Worten, die nicht banal klangen, um meine Niedergeschlagenheit über den Tod meines Freundes zum Ausdruck zu bringen. Aus mir unverständlichen Gründen kannte Don Juan den

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