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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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sensorischen Daten, die aus dem gesamten Universum kommen, nicht mehr von den Sinnen interpretiert würden. Es sei ein Moment, in dem die Wahrnehmung aufhöre, die Kraft zu sein, die durch Gebrauch und Wiederholung das Wesen der Welt bestimmt.
    »Die Zauberer brauchen eine Krise, damit das Wirken der inneren Stille beginnt«, sagte Don Juan. »Die Krise ist wie Mörtel, den der Maurer zwischen die Steine bringt. Erst wenn der Mörtel hart geworden ist, wird aus den losen Steinen eine Mauer.«
    Don Juan hatte mir von Anfang unserer Beziehung an den Wert und die Notwendigkeit der inneren Stille eingehämmert. Ich gab mir größte Mühe, seinen Ratschlägen zu folgen, um innere Stille anzusammeln, und das geschah buchstäblich Sekunde um Sekunde. Ich hatte keine Möglichkeit, die Wirkung des Sammelns zu überprüfen, und ich konnte auch nicht beurteilen, ob ich irgendeine Schwelle erreicht hatte oder nicht. Ich bemühte mich einfach verbissen darum, daß die innere Stille zunahm. Ich tat es nicht nur, um Don Juan zufrieden zustellen, sondern weil das Ansammeln an sich für mich zu einer Herausforderung geworden war. Eines Tages schlenderten Don Juan und ich über den Hauptplatz von Hermosillo. Es war früher Nachmittag. Der Himmel war bewölkt, und ich empfand die trockene Hitze als sehr angenehm. Um uns herum waren viele Menschen. Um den Platz gab es Geschäfte. Ich war schon oft in Hermosillo gewesen, doch die Geschäfte waren mir nie aufgefallen. Ich wusste, es gab diese Geschäfte, aber sie waren mir nie wirklich bewusst geworden. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, von diesem Platz eine genaue Skizze anzufertigen, selbst wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Als ich an jenem Tag mit Don Juan über den Platz ging, versuchte ich, mir den Standort und die Art der Geschäfte genau einzuprägen. Ich suchte nach einer Gedächtnishilfe, die es mir später ermöglichen würde, meine Erinnerung wachzurufen. Don Juan riß mich aus meiner Konzentration. »Ich habe dir schon oft gesagt, daß jeder Zauberer, den ich kenne, sei es Mann oder Frau, früher oder später in seinem Leben in eine Krise gerät.«
    »Bedeutet das, sie haben einen Nervenzusammenbruch oder etwas Ähnliches?« fragte ich. »Nein, nein«, erwiderte er lachend. »Nervenzusammenbrüche bekommen Leute, die ihre Schwächen pflegen. Zauberer sind keine gewöhnlichen Leute. Ich meine, in einem bestimmten Augenblick muss die Kontinuität ihres Lebens abreißen, damit die innere Stille einsetzen und ein aktiver Teil ihres Organismus werden kann. Es ist von allergrößter Wichtigkeit«, fuhr Don Juan fort, »daß du diese Krise bewusst erreichst oder daß du sie künstlich oder geschickt herbeiführst.« »Was meinst du damit, Don Juan?« fragte ich gespannt, weil seine Gedanken mich natürlich neugierig machten.
    »Deine Krise«, erwiderte er, »bedeutet, dein Leben, wie du es kennst, aufzugeben. Du hast gehorsam und genau alles getan, was ich dir aufgetragen habe. Wenn du begabt bist, dann zeigst du es nicht. Doch das scheint dein persönlicher Stil zu sein. Du bist nicht langsam, aber du verhältst dich so, als seist du langsam. Du bist sehr selbstsicher, aber du gibst dich so, als ob du unsicher wärst. Du hast keine Angst, aber du benimmst dich, als hättest du Angst vor Menschen. Alles, was du tust, weist auf einen einzigen Punkt: Du musst rücksichtslos Schluß damit machen.«
    »Aber in welcher Weise, Don Juan? An was denkst du?« fragte ich erschrocken.
    »Ich glaube, es läuft alles auf einen einzigen Schritt hinaus«, antwortete er. »Du musst deine Freunde verlassen. Du musst dich endgültig von ihnen verabschieden.
    Es ist dir nicht möglich, auf dem Weg des Kriegers weiterzugehen und dabei deine persönliche Geschichte mit dir herumzuschleppen. Wenn du deine Lebensweise nicht änderst, werde ich dir keine weiteren Unterweisungen mehr geben können.«
    »Aber, aber Don Juan«, sagte ich. »Da muss ich Einspruch erheben. Du verlangst zuviel von mir. Um offen zu sein, ich glaube, das kann ich nicht tun. Meine Freunde sind meine Familie. Sie sind meine Bezugspunkte.«
    »Richtig, richtig«, bemerkte er. »Sie sind deine Bezugspunkte. Deshalb musst du auf sie verzichten. Zauberer haben nur einen Bezugspunkt - die Unendlichkeit.« »Aber was soll ich tun, Don Juan?« fragte ich mit klagender Stimme. Seine Forderung machte mich wütend. »Du musst einfach gehen«, erklärte er nüchtern. »Wie du das machst, darauf kommt es nicht an. Geh einfach!« »Aber

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