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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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gegangen war. Don Juan besaß in der Tat eine unvergleichliche Eleganz. Es gab keine Vorwürfe, keinen Zorn oder irgend etwas dieser Art. Ich stieg in meinen Wagen und fuhr glücklich und unbeschwert davon. Ich fühlte mich so frei wie ein Vogel in der Luft. Erstaunlich, daß alles so schnell und so schmerzlos geendet hat, dachte ich. Die Rückfahrt verlief ohne besondere Ereignisse. In Los Angeles in meiner gewohnten Umgebung stellte ich fest, daß mir die letzte Begegnung mit Don Juan eine erstaunliche Menge Energie gegeben hatte. Ich war sehr glücklich, sehr entspannt und widmete mich mit erneutem Eifer dem, was ich für mein normales Leben hielt. Alle Probleme mit meinen Freunden und meine Erkenntnisse über sie, alles, was ich Don Juan in dieser Hinsicht gesagt hatte, war völlig vergessen. Etwas schien es aus meinem Bewußtsein entfernt zu haben. Ich staunte mehrmals über die Leichtigkeit, mit der ich etwas vergessen hatte, was von so großer Bedeutung gewesen war, und ich wunderte mich darüber, daß ich es so gründlich vergessen hatte.
    Alles verlief so wie erwartet. Es gab nur eine einzige Unstimmigkeit in meinem musterhaft neuen alten Leben. Ich erinnerte mich sehr gut daran, daß Don Juan gesagt hatte, mein Abschied von der Welt der Zauberer sei reine Theorie und ich werde zurückkommen. Ich erinnerte mich an jedes Wort unseres Gesprächs und hatte alles aufgeschrieben. Mein normales lineares Denken und Erinnern schlossen jedoch aus, daß Don Juan jemals solche Dinge gesagt hatte. Wie konnte ich mich an etwas erinnern, das nicht stattgefunden hatte? Mein Grübeln darüber führte zu nichts. Meine Pseudo-Erinnerung war seltsam genug, um eine größere Sache daraus zu machen, aber dann kam ich zu dem Schluß, es sei sinnlos. Aus meiner Sicht hatte ich Don Juans Umgebung endgültig verlassen.
    Ich befolgte Don Juans Rat in Hinblick auf mein Verhalten gegenüber all jenen, durch die ich Vorteile hatte, und das führte zu einer umwälzenden Entscheidung. Ich wollte meinen Freunden meine Anerkennung dafür aussprechen und mich bei ihnen bedanken, bevor es zu spät war. Einer der Fälle war mein Freund Rodrigo Cummings. Ein Ereignis, an dem mein Freund Rodrigo Cummings beteiligt war, erschütterte jedoch meinen neuen Grundsatz und machte ihn völlig zunichte. Die Haltung zu meinem Freund veränderte sich grundsätzlich, als ich ihm gegenüber meine Rivalität aufgab. Danach stellte ich fest, daß mir nichts leichter fiel, als mich völlig in alles hineinzuversetzen, was Rodrigo tat. Mit anderen Worten, ich war genau wie er, aber mir wurde das erst bewusst, als ich nicht mehr mit ihm konkurrierte. Dann zeigte sich mir die Wahrheit mit erschreckender Klarheit. Zu Rodrigos größtem Wunsch gehörte es, das Studium zu beenden. Er schrieb sich jedes Semester mit großem Eifer ein und belegte so viele Vorlesungen, wie erlaubt waren. Im Verlauf des Semesters verlor er jedoch die Lust an einer Vorlesung nach der anderen und ging nicht mehr hin. Manchmal kam er überhaupt nicht mehr zur Uni, dann wieder erschien er tatsächlich zu einer Vorlesung, die dreimal in der Woche stattfand, bis zum bitteren Ende.
    In seinem letzten Semester belegte er eine Vorlesung in Soziologie, und weil es ihm gefiel, ging er auch immer hin. Das Abschlußexamen rückte näher. Er sagte mir, er habe drei Wochen, um sich darauf vorzubereiten. Rodrigo musste das Lehrbuch zu der Vorlesung lesen. Er fand, drei Wochen seien unglaublich viel Zeit, um nur sechshundert Seiten zu lesen. Er hielt sich für einen schnellen Leser mit einer ausgezeichneten Merkfähigkeit. Seiner Ansicht nach besaß er ein nahezu perfektes photographisches Gedächtnis.
    Rodrigo war der Meinung, er habe noch sehr viel Zeit vor der Prüfung, und bat mich deshalb, ihm zu helfen, seinen Wagen umzubauen, damit ihm das Verteilen von Zeitungen leichter von der Hand gehe. Er wollte die rechte Wagentür ausbauen, um die Zeitungen mit der rechten Hand aus der Türöffnung zu werfen, anstatt mit der linken über das Wagendach. Ich wies ihn darauf hin, daß er Linkshänder sei, aber er erklärte vorwurfsvoll, zu den vielen Fähigkeiten, die geflissentlich alle seine Freunde übersähen, gehöre es, daß er beidhändig sei. Damit hatte er recht. Mir war das noch nie aufgefallen. Nachdem ich ihm bei Ausbauen der Wagentür geholfen hatte, beschlöß er, die zerschlissene Innenverkleidung des Wagendachs zu entfernen. Er sagte, der Wagen sei technisch einwandfrei. Er würde ihn nach

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