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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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und blickte zum Hügel. Von dort sah ich die Leute, die mit ihren Eseln und Lasten in die Stadt kamen. Aber zuerst sah ich ihre Köpfe. Beim Näherkommen sah ich mehr von ihren Körpern, aber erst wenn sie die Hügelkuppe erreichten, sah ich sie in ganzer Größe. Es hatte stets den Anschein, als würden sie entsprechend ihrer Geschwindigkeit, langsam oder schnell aus der Erde auftauchen. Im Traum wartete Don Juan auf mich neben dem Käsestand. Ich ging zu ihm.
    »Du hast es aus deiner inneren Stille heraus geschafft«, sagte er und klopfte mir auf den Rücken. »Du hast deine Krise ausgelöst. Einen Augenblick lang hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben. Aber ich bin hier geblieben, weil ich wusste, du würdest es schaffen.« In dem Traum machten wir einen Spaziergang. Ich war so glücklich wie noch nie. Der Traum war klar und ungeheuer real, so daß ich nicht daran zweifelte, daß ich das Problem gelöst hatte, auch wenn meine Lösung nur eine Traum - Phantasie war.
    Don Juan lachte und schüttelte den Kopf. Er hatte eindeutig meine Gedanken gelesen. »Du befindest dich nicht in einem Traum«, sagte er. »Aber wer bin ich, um dir das zu sagen? Du wirst eines Tages selbst wissen, daß aus der inneren Stille keine Träume entstehen, denn du wirst dich dafür entscheiden, es zu wissen.«

 
Die Dimensionen der Erkenntnis
    Das Ende einer Zeit war für Don Juan die genaue Beschreibung eines Vorgangs, den die Schamanen durchlaufen, wenn sie die Ordnung der Welt, die sie kennen, zerstören, um sie durch eine andere Art Verständnis der sie umgebenden Welt zu ersetzen. Als Lehrer bemühte sich Don Juan Matus vom ersten Augenblick unserer Begegnung darum, mich mit der Erkenntniswelt der Schamanen des alten Mexiko vertraut zu machen. Der Begriff Erkenntnis war für mich damals ungeheuer kontrovers. Ich verstand darunter den Vorgang, durch den wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Bestimmte Dinge gehören in den Bereich dieses Vorgangs und werden mühelos von uns erkannt. Andere Dinge nicht. Deshalb bleiben sie unerklärbar. Es sind die Dinge, für die wir kein angemessenes Wahrnehmungsvermögen haben.
    Don Juan erklärte von Beginn unserer Beziehung an, daß sich die Welt der Zauberer des alten Mexiko von der unseren unterscheide, aber nicht auf eine oberflächliche Weise, sondern in der Art und Weise, wie der Vorgang des Erkennens stattfinde. Er behauptete, in unserer Welt verlangt unsere Wahrnehmung die Interpretation sensorischer Daten. Er sagte, das Universum setze sich aus einer unendlichen Zahl von Energiefeldern zusammen, die im gesamten Universum als euchtende Fasern vorhanden seien. Diese leuchtenden Fasern wirken auf den Organismus Mensch. Der Organismus reagiert darauf, indem er die Energiefelder in sensorische Daten umwandelt. Die sensorischen Daten werden dann interpretiert.
    Aus der Interpretation entsteht unser Erkenntnissystem. Mein Verständnis von Erkenntnis, bzw. Wahrnehmung zwang mich zu glauben, daß dies ein universaler Vorgang ist, so wie Sprache ein universaler Vorgang ist. Jede Sprache hat eine andere Syntax. Ebenso muss es für jedes Interpretationssystem in der Welt eine leicht unterschiedliche Anordnung geben.
    Don Juans Behauptung, die Schamanen des alten Mexiko hätten ein anderes Erkenntnissystem gehabt, war für mich gleichbedeutend mit der Aussage, sie hätten eine andere Art der Verständigung gehabt, die nichts mit Sprache zu tun hatte. Ich hoffte verzweifelt darauf, daß er sagen würde, sie hätten ein anderes Erkenntnissystem gehabt, was gleichbedeutend mit einer anderen Sprache gewesen wäre, die jedoch trotzdem Sprache war. Das Ende einer Zeit bedeutete für Don Juan, daß die Elemente einer fremden Erkenntnis wirksam zu werden begannen. Die Elemente meiner normalen Wahrnehmung, gleichgültig wie angenehm oder befriedigend sie für mich waren, verblaßten langsam - ein sehr ernster Augenblick im Leben eines Menschen!
    Das vielleicht geliebteste Element war mein akademisches Leben. Alles, was es bedrohte, stellte den Kern meines Wesens in Frage. Vor allem dann, wenn der Angriff verschleiert und unbemerkt erfolgte. Das geschah durch einen Professor, auf den ich mein ganzes Vertrauen setzte - Professor Lorca.
    Ich belegte die Vorlesung von Professor Lorca über Erkenntnistheorie, denn er wurde mir gegenüber als einer der besten lebenden Wissenschaftler gepriesen. Professor Lorca sah sehr gut aus und hatte blonde Haare, die er sorgfältig zur Seite kämmte. Die glatte faltenlose Stirn

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