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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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des alten Mexiko hätten diese Fasern als einen Vorhang aus Perlen bezeichnet, die auf eine Schnur aufgezogen seien. Ich hatte das wörtlich genommen und vermutet, daß sich die Schnur durch das Konglomerat von Energiefeldern zieht, das wir von Kopf bis Fuß sind. Die Schnur, die ich jetzt sah, ließ die runde Form der Energiefelder der Menschen mehr wie einen Anhänger aussehen. Ich bemerkte jedoch nicht, daß zwei oder mehr dieser Wesen an einer Schnur hingen. Jedes der Wesen, die ich sah, war ein Wesen aus geometrischen Mustern mit einer Art Schnur am oberen Ende seines kreisförmigen Lichtscheins. Die Schnur erinnerte mich sehr an die segmentartigen, wurmähnlichen Gebilde, die manche Menschen sehen, wenn sie in der Sonne die Augen halb schließen.
    Don Juan und ich gingen von einem Ende der Stadt zum anderen, und ich sah viele Wesen mit geometrischen Mustern. Meine Fähigkeit, sie zu sehen, war allerdings in höchstem Maße unzuverlässig. Ich sah sie einen Moment, verlor sie aus dem Blick und hatte wieder normale Menschen vor mir.
    Ich war bald erschöpft und sah nur noch normale Menschen. Don Juan sagte, es sei Zeit, nach Hause zu gehen, und wieder verlor etwas in mir das Gefühl für Kontinuität. Ich befand mich in Don Juans Haus, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie ich die Entfernung von der Stadt zum Haus zurückgelegt hatte. Ich sank auf mein Bett und versuchte verzweifelt, mich zu sammeln, mich zu erinnern, mich bis ins Innerste meines Wesens zu erforschen, um Hinweise darauf zu entdecken, wie ich in die Yaqui-Stadt und in die Stadt mit dem Bahnhof gekommen war. Ich glaubte nicht, daß es sich bei dem Erlebten um Traumphantasien gehandelt hatte, denn die Szenen waren so detailliert, daß sie Wirklichkeit sein mussten, und doch konnten sie unmöglich wirklich gewesen sein.
    »Du verschwendest deine Zeit«, sagte Don Juan lachend. »Ich garantiere dir, du wirst nie wissen, wie wir von hier in die Yaqui-Stadt und von dort zur Stadt mit dem Bahnhof gekommen sind und von da wieder hierher zum Haus. Die Kontinuität der Zeit war unterbrochen. Das bewirkt die Innere Stille.«
    Geduldig erklärte er mir, daß es Zauberei ist, den Fluß der Kontinuität zu unterbrechen, der die Welt für uns verständlich macht. Er sagte, ich sei an diesem Tag auf dem dunklen Meer des Bewusstseins gewandert und hätte die Menschen gesehen, wie sie sind, während sie mit ihren menschlichen Angelegenheiten beschäftigt sind. Danach hätte ich den Energiestrang gesehen, der bestimmte Energielinien miteinander verbindet. Don Juan wiederholte immer wieder, daß ich etwas Besonderes und Unerklärliches gesehen hätte. Ich hatte verstanden, was die Leute sagten, ohne ihre Sprache zu kennen, und ich hatte den Energiestrang gesehen, der Menschen mit bestimmten anderen Menschen verband. Und ich hatte diese Aspekte durch den Vorgang des Wollens ausgewählt. Er betonte, das Wollen sei nichts Bewusstes oder Willentliches. Das Wollen hatte sich auf einer tieferen Ebene vollzogen und war von der Notwendigkeit bestimmt worden. Ich musste mir einiger der Möglichkeiten bewusst werden, auf dem dunklen Meer des Bewusstseins zu wandern, und meine innere Stille hatte das Wollen - eine immerwährende Kraft im Universum - geleitet, diese Notwendigkeit zu erfüllen.

 
Anorganisches Bewusstsein
    An einem bestimmten Punkt meiner Lehrzeit gab Don Juan mir Einblick in die Komplexität seiner Situation. Zu meinem Ärger und meiner Verzweiflung hatte er immer behauptet, er lebe in der Hütte im Staat Sonora, weil die Hütte ein Bild meines Bewusstseinszustandes sei. Ich glaubte nicht so recht, daß er wirklich meinte, ich sei so armselig, und ich glaubte auch nicht, daß er andere Häuser hatte, in denen er lebte, wie er sagte. Es stellte sich heraus, daß er mit beidem recht hatte. Mein Bewusstseinszustand war armselig, und er hatte andere Häuser, in denen er sehr viel bequemer leben konnte als in der Hütte, wo ich ihn zuerst getroffen hatte. Und er war auch nicht der einsame Zauberer, für den ich ihn gehalten hatte, sondern der Führer einer Gruppe von fünfzehn anderen Krieger-Wanderern. Es waren zehn Männer und fünf Frauen. Meine Überraschung war sehr groß, als er mich zu seinem Haus in Zentralmexiko mitnahm, wo er mit den anderen Zauberern lebte. »Hast du nur meinetwegen in Sonora gelebt, Don Juan?« fragte ich, unfähig, diese Verantwortung auf mich zu nehmen, die mich mit Schuldgefühlen und Reue erfüllte und mir ein Gefühl der

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