Das Wirken der Unendlichkeit
gesamten Körpers. Teile, deren Funktionen gestört sind, zerren den Rest des Körpers ins Chaos - zum Beispiel, wenn dir vom schlechten Essen übel wird. In diesem Fall beeinflußt die Stimmung deines Magens alles andere. Der Tod macht Schluß mit der Herrschaft dieser einzelnen Körperteile. Er integriert das Bewusstsein zu einer einzigen Einheit.« »Du meinst, nachdem Zauberer gestorben sind, haben sie immer noch ein Bewusstsein?« »Für Zauberer ist der Tod ein Vorgang der Einigung, an dem jeder Teil ihrer Energie beteiligt ist. Wenn du an den Tod denkst, dann siehst du eine Leiche, einen Körper, dessen Zerfall eingesetzt hat. Bei Zauberern gibt es keine Leiche, wenn der Vorgang der Einigung stattfindet. Ihr ganzer Körper ist in Energie verwandelt worden, in Energie mit einem Bewusstsein, das nicht zersplittert ist. Die Grenzen, die der Organismus aufgerichtet hat und die der Tod niederreißt, funktionieren im Fall der Zauberer immer noch. Allerdings sind sie mit bloßen Augen nicht mehr zu sehen.
Ich weiß, du würdest mich schrecklich gern fragen«, fuhr er lächelnd fort, »ob das, was ich beschreibe, die Seele ist, die in den Himmel oder in die Hölle geht. Nein, es ist nicht die Seele. Wenn Zauberer die verborgene Alternative zum Tod wählen, verwandeln sie sich in anorganische Wesen, sehr spezialisierte, sehr schnelle anorganische Wesen, die zu unglaublichen Manövern der Wahrnehmung fähig sind. Die Zauberer beginnen damit, was die Schamanen im alten Mexiko ihre letzte Wanderung nannten. Die Unendlichkeit wird ihr Wirkungsbereich.« »Meinst du damit, sie werden unsterblich, Don Juan?« »Meine Nüchternheit als Zauberer sagt mir«, antwortete er, »daß ihr Bewusstsein enden wird, so wie das Bewusstsein anorganischer Wesen endet, aber gesehen habe ich das nicht. Ich weiß es nicht aus eigener Erfahrung. Die alten Zauberer nahmen an, daß das Bewusstsein dieser Art anorganischer Wesen so lange dauert, wie die Erde lebt. Die Erde ist ihr Nährboden und ihre Matrix. Solange es die Erde gibt, besteht ihr Bewusstsein. Für mich ist das eine sehr vernünftige Aussage.«
Ich konnte gegen den Kontext und die Logik von Don Juans Erklärung nichts einwenden. Das, was er sagte, war großartig. Ich konnte absolut nichts hinzufügen. Ich blieb mit einem Gefühl des Geheimnisvollen und unausgesprochener Erwartungen zurück, die sich erfüllen würden.
Als ich Don Juan das nächste Mal besuchte, begann ich unsere Unterhaltung beinahe ungeduldig mit der Frage, die mich am meisten beschäftigte. »Ist es möglich, Don Juan, daß es tatsächlich Geister und Erscheinungen gibt?«
»Was immer für dich ein Geist oder eine Erscheinung sein mag«, antwortete er, »reduziert sich, wenn ein Zauberer es genau betrachtet, auf einen Punkt - es ist möglich, daß eine der geisterhaften Erscheinungen ein Konglomerat von Energiefeldern mit einem Bewusstsein ist und daß wir es in etwas Bekanntes verwandeln. In diesem Fall besitzen die Erscheinungen Energie. Die Zauberer bezeichnen sie als Energie erzeugende Konfigurationen. Wenn keine Energie von ihnen ausgeht, sind sie phantasmagorische Produkte - üblicherweise eines sehr starken Menschen, wobei sich Stärke auf das Bewusstsein bezieht.
»Eine Geschichte, die du erzählt hast, faszinierte mich ungemein«, fuhr Don Juan fort. Es war die Geschichte über deine Tante. Erinnerst du dich?« Ich hatte Don Juan erzählt, daß ich im Alter von vierzehn Jahren im Haus der Schwester meines Vaters lebte. Sie bewohnte ein riesiges Anwesen mit drei Innenhöfen, zwischen denen sich jeweils Schlafzimmer, Wohnzimmer und so weiter befanden. Der erste Innenhof war schmucklos und hatte ein Kopfsteinpflaster. Man sagte mir, das Haus stamme aus der Kolonialzeit und die Pferdekutschen seien früher bis in diesen Hof gefahren. Der zweite war ein wunderschöner Garten voller Obstbäume, durch den sich mit Ziegelsteinen gepflasterte Wege im maurischen Stil wanden. Im dritten Innenhof hingen Töpfe mit Blumen an den überstehenden Dächern, es gab Vögel in Käfigen und in der Mitte einen plätschernden Springbrunnen im Kolonialstil. Ein großer Teil des Innenhofs war mit einem Drahtzaun abgetrennt und den von meiner Tante geliebten Kampfhähnen, der großen Leidenschaft ihres Lebens, vorbehalten. Meine Tante überließ mir eine ganze Wohnung am Obstgarten. Ich glaubte, ich würde dort eine glückliche Zeit verbringen. Ich konnte soviel Obst essen, wie ich wollte. Aus Gründen, die ich nie erfuhr,
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