Das Wirken der Unendlichkeit
rührte niemand sonst im Haus die Früchte eines dieser Bäume an. Der Haushalt bestand aus vier Personen. Meine Tante war eine große, mollige Frau über fünfzig mit einem runden Gesicht. Sie war sehr lustig, eine großartige Erzählerin und voller Absonderlichkeiten, die sie hinter der Fassade von Konventionalität und dem Benehmen einer frommen Katholikin verbarg. Es gab einen Butler, einen großen imposanten Mann Anfang Vierzig. Er war ein ehemaliger Hauptfeldwebel der Armee, der sich hatte verlocken lassen, den Dienst zu quittieren und die besser bezahlte Stelle von Butler, Leibwächter und Hausmeister meiner Tante anzunehmen. Seine schöne junge Frau war die Gesellschafterin, Köchin und Vertraute meiner Tante. Das Paar hatte eine Tochter, ein rundliches kleines Mädchen, das genau wie meine Tante aussah. Die Ähnlichkeit war so groß, daß meine Tante das Kind legal adoptiert hatte.
Die vier waren die ruhigsten Menschen, die ich jemals getroffen hatte. Sie führten ein sehr beschauliches Leben, das nur von den Exzentritäten meiner Tante unterbrochen wurde. Sie entschied etwa aus einer Laune heraus zu verreisen oder vielversprechende neue Kampfhähne zu kaufen und auszubilden. Sie veranstaltete tatsächlich Hahnenkämpfe, bei denen es um sehr hohe Summen ging. Sie kümmerte sich mit liebevoller Fürsorge um ihre Hähne - manchmal den ganzen Tag lang. Dabei trug sie dicke Lederhandschuhe und Ledergamaschen, damit die Kampfhähne sie nicht mit ihren Stahlsporen verletzen konnten.
Ich verbrachte zwei wunderbare Monate im Haus meiner Tante. Nachmittags unterrichtete sie mich in Musik und erzählte mir endlose Geschichten über die Vorfahren der Familie. Meine Lebensumstände waren ideal, denn ich konnte mit meinen Freunden ausgehen und musste niemandem sagen, wann ich zurückkam. Manchmal lag ich nachts stundenlang bei geöffnetem Fenster wach im Bett, und der Duft der Orangenblüten erfüllte das Zimmer. Dann hörte ich immer jemanden durch einen langen Gang gehen, der sich an der Nordseite des Hauses befand und alle Innenhöfe miteinander verband. Er hatte wunderschöne Mauerbögen und einen Fußboden mit Kacheln. Vier sehr schwache Glühbirnen tauchten den Flur in ein trübes Licht. Sie wurden jeden Abend um sechs ein- und morgens um sechs ausgeschaltet. Ich fragte meine Tante, ob ihr Butler nachts durch das Haus gehe und vor meinem Fenster stehen bleibe. Denn wer immer es war, blieb an meinem Fenster stehen, drehte sich um und ging zurück in Richtung des Haupteingangs.
»Mach dir wegen solcher Lappalien keine Sorgen, mein Schatz«, sagte meine Tante lächelnd. »Wahrscheinlich ist es mein Butler auf seinem Rundgang. Das ist ganz normal! Hast du etwa Angst?«
»Nein, ich habe keine Angst«, erwiderte ich. »Ich bin einfach neugierig, weil dein Butler jeden Abend zu meinem Zimmer kommt. Manchmal wecken mich seine Schritte sogar auf.«
Sie tat meine Fragen mit der \ernünftigen Erklärung ab, der Butler sei beim Militär gewesen und gewohnt, als Posten seine Runden zu machen. Ich gab mich damit zufrieden.
Eines Tages erwähnte ich dem Butler gegenüber, seine Schritte seien einfach zu laut. Er möge doch auf seiner Runde an meinem Fenster etwas leiser auftreten, damit ich nicht jedesmal aufwachen würde. »Ich weiß nicht, wovon du redest!« erwiderte er ungehalten.
»Meine Tante hat mir gesagt, daß du nachts die Runde machst«, erwiderte ich.
»Das stimmt nicht!« erwiderte er, und seine Augen blitzten vor Empörung.
»Aber wer kommt dann zu meinem Fenster?« »Kein Mensch kommt zu deinem Fenster. Das bildest du dir ein. Schlaf einfach weiter. Lauf nicht herum und wirble unnötigen Staub auf. Diesen Rat möchte ich dir um deinetwillen geben.«
In jenen Jahren konnte es für mich nichts Schlimmeres geben, als wenn mir jemand sagte, es geschehe irgend etwas um meinetwillen. Sobald ich in der nächsten Nacht die Schritte hörte, schlich ich aus dem Schlafzimmer und versteckte mich hinter der Wand, die zur Tür meiner Wohnung führte. Als ich mir ausrechnete, wer immer da gehe, müsse gerade die zweite Glühbirne erreicht haben, streckte ich den Kopf hervor und blickte den Korridor entlang. Das Geräusch der Schritte verstummte abrupt, aber es war niemand zu sehen. Der schwach erleuchtete Korridor war leer. Wenn jemand dort gegangen wäre, hätte er keine Zeit gehabt, sich zu verstecken, denn es gab keine Möglichkeit dazu. Es gab nur kahle Wände.
Mein Entsetzen war so groß, daß ich aus
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