Das Wispern der Schatten - Roman
dass auch nur die geringste Vergebung in ihren Augen gestanden hätte, dann mit offensichtlicher Enttäuschung Jillan. Danach wandten sie sich ab.
Die Abenddämmerung senkte sich herab. Der Sonderbare hatte beschlossen, sich rar zu machen, aber niemand wusste, wohin er gegangen war. Jillan wählte diesen Augenblick, um zu der steingrauen Frau hinüberzugehen und mit ihr zu sprechen. Er hockte sich neben sie und reichte ihr so kaum bis ans obere Ende der zerklüfteten Knie. Dennoch wich sie zurück und beobachtete ihn nervös.
» Danke, dass du mir hilfst«, sagte Jillan. » Du hast bisher noch keine Gegenleistung dafür verlangt.«
Stumm schüttelte sie den Kopf.
» Ich habe etwas für dich«, sagte der Junge und streckte die Hand aus. » Sie sind eigentlich nichts weiter, aber mein Vater hat sie mir geschenkt. Ich dachte, sie gefallen dir vielleicht.«
Sie streckte zaghaft die Handfläche aus, und er legte vier Steine hinein.
Sie starrte die Steine immer weiter an. Niemand hatte ihr je zuvor etwas geschenkt.
» Darf ich sie behalten?«, knirschte ihr Mund.
» Natürlich.« Der Junge lächelte.
Nicht einmal Norfred hatte ihr etwas Eigenes geschenkt. Nichts weiter hatte der Junge sie genannt! Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nichts so Wertvolles besessen. Ein grüner, ein roter, ein blauer und ein gelber Stein, genau wie die im Tempel des Felsgottes. Ihr kamen die Tränen, als sie sie in die Haut um ihren Hals herum einsetzte.
» Hübsch.« Der Junge nickte.
Sie sah ihn an. Sie mochte ihn viel lieber als ihren Freund Anupal, obwohl sie es nie gewagt hätte, Anupal das zu sagen. Sie hoffte, dass er auch nicht in der Lage war, diesen Gedanken zu hören.
Fredas Blick huschte zu den goldenen Symbolen auf der Rüstung des Jungen hinab. Sie konnte sie nicht alle entziffern, aber die, die sie lesen konnte, sagten ihr, dass er standhaft war.
» Ich werde dich nach Freistatt bringen, wenn ich kann«, malmte sie hervor. » Kennst du jemanden namens Jan?«
» Nein, tut mir leid. Aber wenn ich jemanden treffe, der so heißt, sage ich es dir.«
» Danke.«
Der Wind wechselte die Richtung, und der Junge hob den Kopf. » Hörst du das Stöhnen?«
» Freund Anupal sagt, es sei die Stadt.«
» Es klingt, als ob sie Schmerzen hätte.«
» Ja«, pflichtete Freda ihm leise bei.
Kapitel 12
UND ZWAR STETS ZU SPÄT
S ie alle hörten Hyvans Kreuz, lange bevor sie es sahen. Sein Kreischen und Stöhnen im Wind war so laut, dass sie rufen mussten, um einander zu verstehen.
» Die Luft strömt durch dieses enge Tal und spielt auf den Senken und Kuhlen wie auf einer Flöte oder Pfeife. Das geschieht auch dort, wo ich lebe. Einer unserer Gipfel wird der singende Berg genannt, und an manchen Tagen kann man ihn von einem Ende der Bergkette bis ans andere hören«, erzählte ihnen Aspin.
Freda schüttelte den Kopf. » Ich glaube, es ist mehr als das. Ich höre bruchstückhaft eine gepeinigte Stimme im Wind. Sie hat mich in der Nacht daran gehindert, ruhig zu schlafen.«
» Ich hatte seltsame Träume«, fügte Aspin hinzu. » Zum Glück habe ich die meisten vergessen, sobald ich wach war, aber ich erinnere mich doch, große Erleichterung verspürt zu haben, als ich davon befreit war. Wie ist es mit euch anderen?«
Jillan zuckte mit den Schultern, aber er konnte nicht umhin, sich zu fragen, was für Albträume er wohl gehabt hätte, wenn er seine Rüstung nicht getragen hätte. Er sah Thomas an, aber der Schmied hatte bereits dunkle Ringe unter den Augen, seit sie Linderfall verlassen hatten, und hatte wahrscheinlich ohnehin nicht geschlafen.
Ash hielt seine leere Feldflasche hoch. » Mich hat gestern Abend mein Selbstgebrautes bei Laune gehalten, weil sonst ja niemand etwas davon wollte. Aber dann habe ich wie ein Wiegenkind geschlafen.«
Der Sonderbare, der bisher vor dem Wagen hergeschritten war, auf dem die anderen reisten, ließ sich ein wenig zurückfallen und rief zu ihnen herauf: » Die Stimme gehört Wandar. Als die Erlöser seinen Anhängern die Stadt genommen hatten, hat der heilige Wandar mit einem Ton aus einem schrecklichen Horn aus Sonnenmetall zerschmettert. Der arme Wandar wurde wortwörtlich hinweggefegt und in alle Winde zerstreut, aber er tobt immer noch um Hyvans Kreuz und versucht, wieder Gestalt anzunehmen. Doch seine Macht ist gebrochen, und so muss er dieses bruchstückhafte Dasein erdulden, für immer… oder bis er vergeht.«
» Das ist ja fürchterlich!«, sagte Jillan entsetzt.
» Nicht,
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