Das Wörterbuch des Viktor Vau
vor.
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Herr da Soza.« De Moulinsart bleckte kurz die Zähne. Enrique nahm die ausgestreckte Hand und lieà sie fast sofort wieder fallen. Sie fühlte sich an wie ein feuchter Schwamm. Das bestätigte Enriques ersten Eindruck von Mareks Begleiter: Er mochte ihn nicht.
Marek ging zu einem freien Tisch, und Enrique und de Moulinsart folgten ihm.
»Ich wusste nicht, dass du einen Begleiter mitbringst«, begann Enrique, an Marek gewandt.
»Ich habe mich Ihrem Freund gewissermaÃen aufgedrängt, weil ich Ihnen einen Vorschlag machen möchte«, erwiderte de Moulinsart, bevor Marek etwas sagen konnte.
Enrique betrachtete ihn misstrauisch. »Nichts gegen Sie, aber ich weià weder, wer Sie sind, noch, was Sie von mir wollen.« Sein Tonfall klang gereizter, als er beabsichtigt hatte.
»Keine Angst«, versuchte Marek ihn zu beruhigen. »Es ist alles in Ordnung hier.«
De Moulinsart hob beschwichtigend die Hand. »Lesen Sie das, und Sie werden verstehen«, sagte er und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Jackentasche, das er vor Enrique auf den Tisch legte.
Enrique entfaltete das Blatt. Das war die Handschrift von Viktor Vau! Er warf einen misstrauischen Blick auf seine Tischnachbarn, bevor er das kurze Schreiben las.
»Verehrter Enrique,
Herr de Moulinsart, der Ihnen dieses Schreiben überbringt, lässt mich derzeit seine Gastfreundschaft genieÃen. Wie es dazu gekommen ist, kann er Ihnen sicher selbst berichten. Da er mir nicht glaubt, was in der Videobotschaft enthalten ist, möchte er gerne mein Notizbuch einsehen, und ich habe eingewilligt, es ihm zu übergeben. Bitte seien Sie so freundlich und händigen Sie Herrn de Moulinsart meine Aufzeichnungen aus.
Ihr
Viktor Vau«
Enrique sah von dem Schreiben auf.
»Wer sind Sie?«, fragte er sein Gegenüber.
De Moulinsart zuckte mit den Schultern. »Ich bin in diesem Staatswesen nicht ganz ohne Einfluss.«
»Und Sie halten Viktor Vau gefangen?« Enrique wandte sich an Marek. »Wusstest du das etwa?«
Marek wich seinem Blick aus und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.
Enrique richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf de Moulinsart. »Woher weià ich, dass dieser Brief nicht unter Druck geschrieben wurde?«
De Moulinsart zeigte erneut kurz die Zähne. Enrique fragte sich, ob das wohl ein Tic war, denn die Lippenbewegung war kaum mehr als ein Zucken.
»Professor Vau hat sich entschlossen, mit uns zu kooperieren. Daher müssen Sie sich schon auf mein Wort verlassen.«
»Und wenn ich das nicht tue?«
»Dann werden wir uns das Notizbuch auf anderem Weg beschaffen. Ich bin hier, um Sie als zivilisierter Mensch zu bitten, Ihrem Professor Vau einen Gefallen zu erweisen. Aber täuschen Sie sich nicht: Ich kann auch anders.«
»Das bezweifle ich nicht.« Enrique starrte sein Gegenüber an.
»Leute, macht es doch nicht so kompliziert!«, rief Marek, der sich wieder gefangen hatte. »Warum verabredet ihr nicht einfach eine offene Ãbergabe? Du bringst das Wörterbuch, Enrique, und Herr de Moulinsart bringt zu dem Treffen Viktor mit, damit du sehen kannst, dass alles in Ordnung ist.«
»Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten«, zischte de Moulinsart dem Jungen zu.
»Aber sein Vorschlag ist nicht schlecht.« Enriques Gedanken überschlugen sich. Zumindest könnte er so etwas Zeit gewinnen und sich von der Unversehrtheit Viktors überzeugen. Ob er das Notizbuch wirklich mit dorthin nahm, war eine völlig andere Frage. Noch wusste er nicht, welche Absichten dieser Mensch, der ihm gegenübersaÃ, verfolgte.
»In Ordnung«, lenkte de Moulinsart ein. »Dann kommen Sie morgen früh um zehn Uhr mit dem Notizbuch zu dieser Adresse.« Er schrieb etwas auf die Rückseite von Viktors Brief und schob Enrique den Zettel hin. »Ich rate Ihnen in Ihrem Interesse, seien Sie pünktlich. Das nächste Mal werde ich mich nicht mehr so groÃmütig zeigen.«
Er stand auf und warf einen letzten Blick auf Marek. »Und wir unterhalten uns ebenfalls noch«, drohte er, bevor er gruÃlos davonstiefelte.
Nachdenklich faltete Enrique den Zettel zusammen und steckte ihn ein. »Und was sollte das jetzt, Marek? Kannst du mir vielleicht mal verraten, wie du an solche Freunde kommst?«
Marek sah ihn flehend an. »Das ist der Oberbulle im Lande, Mann. Was sollte
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