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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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ich machen?«
    Â»Und seit wann zählst gerade du den Oberbullen zu deinen Freunden?«
    Â»Er ist nicht mein Freund, Mann. Er hat mich aufgespürt und mir keine Wahl gelassen.« Marek strich sich durch die Haare. »Aber ich glaube wirklich nicht, dass er Viktor etwas antun will. Er ist nur hinter seinen Forschungsergebnissen her.«
    Â»Wir werden ja sehen.« Enrique stand auf. »Wirst du morgen auch da sein?«
    Marek schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe mit dem Typen echt nichts zu tun.«
    Enrique nickte nachdenklich. Er wusste nicht, was er glauben sollte und was nicht. Marek war niemand, auf den er sich in einer Notlage verlassen hätte. Aber ein Verräter? Das war doch ein ganz anderes Kaliber.
    Â»Na gut«, sagte er schließlich. »Ich hoffe für dich, du sagst die Wahrheit.«
    Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Lokal.
    2.
    Der Florist hatte die Anstrengungen der Polizei mit Interesse verfolgt. Die Stimme hatte ihn davor gewarnt, seine Gegner zu unterschätzen. Ihm war eine verantwortungsvolle Aufgabe anvertraut worden, und es gab mehr als genug Lakaien, die ihn von deren Erfüllung abhalten wollten.
    In erster Linie war da dieser Kommissar, Fellner. »Wir kommen dem Täter näher«, hatte er auf der letzten Pressekonferenz erklärt. Der Florist wusste nicht, ob das nur frei erfunden war oder die Aussage auf Tatsachen basierte. Er traf zwar alle nur denkbaren Vorkehrungen, um Spuren oder Hinweise auf seine Person zu vermeiden, aber man konnte sich bei den heutigen Polizeimethoden nie sicher sein, ob das ausreichend war.
    Deshalb hatte die Stimme ihm dieses Ausweichmanöver empfohlen.
    Es war zehn Uhr abends, und der Florist ging durch das Kuppelquartier. Wohin er auch blickte, er fand nur Schmutz und Verkommenheit. Er fragte sich, wie er mit seinen begrenzten Mitteln jemals gegen dieses Ausmaß an Verderbtheit ankommen sollte. Und warum ließ der Staat das zu? War es nicht die Aufgabe der Herrschenden, die Gesellschaft von Subjekten wie diesen zu befreien? Stattdessen überließen sie ihnen ein ganzes Stadtviertel, wo sie ihren Lastern in aller Öffentlichkeit nachgehen konnten.
    Immer, wenn er solche Gedanken hatte, beruhigte ihn die Stimme. Er war nur die Vorhut, die Avantgarde einer ganzen Generation von neuen Menschen, welche sich der Reinigung der Gesellschaft verschrieben. Seine Taten würden als leuchtende Beispiele in die Geschichte dieser Menschen eingehen, und sie würden ihn als ihren Vorläufer für immer in Ehren halten.
    Der Florist blieb stehen und atmete tief durch, so wie er es vor einigen Jahren in der Klinik gelernt hatte. Er wartete, bis sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte, und setzte dann seinen Weg fort.
    Vor einem schäbigen Backsteinhaus, das nur wenige Meter entfernt von einer der Hauptstraßen des Viertels lag, hielt er an. Er öffnete die Haustür. Im Flur roch es nach Urin und verwesenden Küchenabfällen.
    Er tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, fand aber keinen. So tappte er langsam im Dunkel voran, bis er die Treppe erreichte. Er stieg in den dritten Stock empor. Hinter einer Wohnungstür hörte er das Schreien eines Babys, hinter einer anderen eine weinende Frau, Zeichen des Elends, das auf der Welt herrschte. Er war froh, auserwählt worden zu sein, Licht in dieses Jammertal zu bringen. Wenn er und die anderen, die ihm folgten, ihre Arbeit erst einmal verrichtet hatten, dann würde die Welt ein besserer Ort sein.
    Der Florist hatte sein Ziel erreicht. Er tastete mit dem Schlüssel im Dunkel nach dem Schloss, trat in die Wohnung, betätigte den Lichtschalter und wartete einen Moment, bis sich seine Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten.
    Gleich rechts von ihm lag ein kleines Badezimmer. Der Florist ging zur Toilette und hob den Deckel von der Spülschüssel, die darüber an der Wand befestigt war. Er griff in die Tasche und holte einen luftdicht versiegelten Plastikbeutel hervor, den er mit zwei Streifen breiten Klebebands an der Innenseite des Deckels befestigte. Dann setzte er den Deckel wieder auf und verließ die Wohnung. Er schloss die Tür hinter sich ab und eilte die Treppen hinunter.
    Der erste Teil seines Plans war vollbracht.
    3.
    Enrique begriff, dass er ein Problem hatte, als er vor seiner Wohnungstür stand. Jemand war in seiner Abwesenheit hier gewesen. Er erkannte das an dem fehlenden

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