Das Wörterbuch des Viktor Vau
Berechnungen einzubauen. Sollten sie tatsächlich bei einer Kontrolle entdeckt werden, konnte ich mich immer noch auf ein Versehen herausreden.
Es brauchte drei Wochen harter Arbeit, dann war ich sicher, die Gleichungen korrekt berechnet zu haben. An einigen Stellen nahm ich kleine Veränderungen vor, die so unauffällig waren, dass sie nur bei einer sehr gründlichen Prüfung entdeckt werden konnten. Selbst wenn die Zeitreise tatsächlich stattfand, würde der Freiwillige ein paar Jahrzehnte früher oder später oder an einem völlig anderen Ort ankommen.
Als ich Abraham meine Berechnungen aushändigte, war er deutlich entspannter als bei unserer letzten Begegnung.
»Wir haben dich fortwährend beobachtet«, sagte er. »Du hast unser Vertrauen nicht enttäuscht. Die Menschheit ist dir zu groÃem Dank verpflichtet.«
Das war sie vielleicht wirklich, aber anders, als er dachte. Ich nahm sein Lob mit einem bescheidenen Lächeln entgegen.
»Falls ich noch irgendwas tun kann â¦Â«, bot ich an.
Er schüttelte den Kopf. »Das war mehr als genug. Alles andere ist bereits geregelt.«
»Gut. Dann drücke ich die Daumen, dass alles klappt.«
»Wir müssen einfach erfolgreich sein.« Er pochte mit dem Finger auf die Zettel mit meinen Gleichungen. »Es ist eine einmalige Chance, die vielleicht nie wiederkommen wird.«
»Die Reise geht ja ziemlich weit zurück«, sagte ich. »Was ist denn so wichtig an dieser Epoche?«
»Es ist die Zeit, in der die Grundlagen unserer heutigen Sprache entstanden sind«, erwiderte er. »Wenn es sie nicht geben würde, wären wir frei.«
»Du willst die Vergangenheit ändern?« Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Sogar er als Laie musste wissen, welche Gefahren er damit heraufbeschwor.
»Niemand weià bisher, was dann passiert. Alles, was es zu diesem Thema gibt, sind Spekulationen, weil keiner so etwas zuvor jemals versucht hat.«
»Das ganze Universum könnte dabei draufgehen!« Meine Stimme war heftiger, als ich beabsichtigte. »Wir wissen noch viel zu wenig über das Raum-Zeit-Kontinuum, um die Folgen einer solchen Veränderung abschätzen zu können.«
»Du sprichst als Wissenschaftler. Ich spreche als Freiheitskämpfer. Die Wissenschaft hat uns diese Sprache und diese Gesellschaft gebracht. Meinst du, die Forscher würden freiwillig zugeben, dass man das alles ändern kann? Wir werden es erst wissen, wenn wir es ausprobiert haben.«
Ich war entsetzt. Am liebsten hätte ich ihm meine Formeln wieder aus den Händen gerissen. Lediglich der Gedanke, dass es nicht zu einer Zeitreise kommen würde, beruhigte mich ein wenig.
»Und du glaubst, ein Einzelner kann eine wissenschaftliche Entwicklung stoppen?«
»In diesem Fall schon.« Abraham nickte zuversichtlich. »Denn zu jener Zeit gab es nur einen Menschen, der daran arbeitete. Und einen Menschen können selbst wir ausschalten.«
»Und ihr wisst, wer diese Person ist?«
Er nickte erneut. »Er steht in den alten Büchern, die wir gefunden haben. Sein Name ist Viktor Vau.«
disu:
Treffen
1.
Hauptstadt der Union
Enrique hatte Marek seit dem Tag, an dem sie Viktor Vau in Thuras konspirativer Wohnung untergebracht hatten, nicht mehr gesehen. Das wunderte ihn, denn normalerweise kam sein Freund an den Tagen, an denen er im Bistro arbeitete, immer vorbei. Deshalb freute er sich umso mehr, dass Marek ihn angerufen und für den Abend ins Kuppelquartier eingeladen hatte.
Er kam eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Termin in dem Café an und setzte sich an den Tresen, um auf seinen Freund zu warten. Der Fernseher über der Bar zeigte stumme Bilder vom letzten Bombenanschlag der Anarchisten. Diesmal hatten sie ein Baustofflager in der Nähe des Weltausstellungsgeländes in die Luft gesprengt.
Während er an seiner Cola nippte, fragte sich Enrique zum wiederholten Mal, wie das überhaupt möglich sein konnte. Die Dynastie hatte die ganze Stadt mit einem Netz von Kameras und Spitzeln überzogen. Und trotzdem gelang es den Attentätern immer wieder, in den innersten Stadtbezirk vorzudringen und dort ihre Sprengladungen zu legen.
In diesem Augenblick betrat Marek das Lokal, gefolgt von einem kleinen Mann mit einem rattenähnlichen Gesicht. Er glitt von seinem Hocker, um sie zu begrüÃen. Marek stellte seinen Begleiter als Armand de Moulinsart
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