Das Wörterbuch des Viktor Vau
Staatsschatz weiter aus. Winter war die Anwesenheit seiner beiden Rivalen zwar nicht unangenehm, denn dann konnten sie seine Unternehmungen in ihrem Land nicht mit der notwendigen Intensität verfolgen, aber er wusste auch, dass er Banda nur bis zu einem gewissen Punkt hinhalten konnte.
Er nahm die Blätter auf, die vor ihm lagen, und verschloss sie in einem Safe hinter dem Schreibtisch. Dann machte er sich auf den Weg ins Forschungszentrum, wo in wenigen Minuten das erste Briefing durch die Wissenschaftler stattfinden würde.
Fitzsimmons und de Moulinsart waren bereits anwesend, als er den Konferenzraum betrat. Sie saÃen an einem Ende eines langen Tisches, der für dreiÃig Personen ausgelegt war. Am anderen Ende hockten zwei Männer und eine Frau, die ihre Köpfe zusammensteckten und sich flüsternd unterhielten.
»Mein lieber junger Freund«, dröhnte Fitzsimmons ihm entgegen. »Wir dachten schon, Sie wollen uns hier aushungern.« Dabei deutete er auf einen Teller mit Gebäck, der vor ihm stand. »Sie haben doch sicher für einen ordentlichen Imbiss gesorgt, oder?«
»Leider nicht«, entschuldigte sich Winter. »Aber ich kann gerne etwas kommen lassen.«
»Bitte, seien Sie doch so nett.«
Während Winter im Hotel zwei Platten mit Kanapees bestellte, winkte er die Wissenschaftler zu sich herüber. Die drei tuschelten noch einmal miteinander und folgten dann seiner Aufforderung.
Ein älterer Mann mit einem grauen Vollbart, offenbar der Wortführer, blieb stehen, während die anderen beiden rechts und links von ihm Platz nahmen.
»Gestatten Sie zunächst, dass wir uns vorstellen. Zu meiner Rechten sitzt Professor Dr. Isabel Kennealy aus Princeton. Sie leitet die Kryptografiegruppe.«
Kennealy, eine Frau kaum älter als dreiÃig, mit langem schwarzem Haar und harten Augen, nickte der Runde zu.
»Zu meiner Linken haben wir Professor Dr. Rasmus Wakken aus Oxford. Er koordiniert die Linguistengruppe.«
Wakken war ein Mann in den Fünfzigern, mit zurückweichendem Haaransatz und abstehenden Ohren. Er erhob sich leicht aus seinem Stuhl.
»Mein Name ist Flavio Volante, und ich habe den Lehrstuhl für Semiotik an der Universität von Bologna inne. Meine Kollegen waren so freundlich, mich zu ihrem Sprecher zu wählen.«
»Vielen Dank, Professor Volante«, sagte Winter. »Erklären Sie uns bitte, was Sie bislang über die Botschaft in der Kapsel herausgefunden haben.«
Volante, um dessen Mundwinkel ein ständiges Lächeln zu spielen schien, nahm ein Blatt auf, das vor ihm lag. Bevor er beginnen konnte, klopfte es an der Tür und ein schwitzender Kellner fuhr einen Servierwagen mit den Kanapees herein.
»Nun sprechen Sie schon«, brummte de Moulinsart ungeduldig, während Fitzsimmons seine Aufmerksamkeit den gefüllten Tellern widmete.
»Nun, wir haben das Dokument zunächst nur per Augenschein geprüft und sind zu der Ãberzeugung gekommen, dass es tatsächlich keiner lebenden oder ausgestorbenen menschlichen Sprache entspricht. Es ist uns nicht einmal bekannt, ob es sich von rechts nach links oder umgekehrt liest. In jedem Fall handelt es sich um einen fortlaufenden Text, denn es ist eine klare Interpunktion erkennbar.«
Er zog mehrere Blätter aus dem Stapel vor sich und verteilte sie an die Zuhörer. Sie enthielten lediglich eine Zeile:
»Sieht eher nach Kunsthandwerk aus als nach einer hoch entwickelten Sprache«, brummte Fitzsimmons enttäuscht.
»Lassen Sie sich nicht täuschen«, meldete sich Wakken zu Wort. »Es handelt sich hier höchstwahrscheinlich um eine hochkomplexe Schrift. Wir sehen an der UnregelmäÃigkeit der Linien, dass dieses Dokument handschriftlich verfasst wurde. Eine vorläufige chemische Analyse hat ergeben, dass es sich bei dem Material um Papier handelt, wie auch wir es verwenden, auf das mit einer Art Kugelschreiber geschrieben worden ist. Die Zusammensetzung der Tinte ist ebenfalls derjenigen ähnlich, die wir heute benutzen.
Die Zeichen erinnern an eine Schrift, die der englische Bischof John Wilkins im siebzehnten Jahrhundert entwickelte. Wilkinsâ Ziel war es, eine universelle Sprache zu erfinden, die jedes Phänomen auf der Erde eindeutig beschreibt ohne Unklarheiten und Missverständnisse. Wenn man diese Nachricht und die von Wilkins vorgeschlagenen Realcharaktere, wie er sie nannte, vergleicht, so scheint es
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