Das Wörterbuch des Viktor Vau
um die Grundausbildung zu überstehen, die weitaus härter war, als wir Rekruten sie uns hatten vorstellen können.
Ich freundete mich mit drei weiteren Neulingen an. »Sucht euch eure Freunde unter den Protektoren«, hatte Juli uns geraten. »So könnt ihr sicher sein, dass sie euch verstehen und zu euch halten. Und vor allem kann euch niemand bei einem Undercoverauftrag erkennen und in Schwierigkeiten bringen.«
Wir verbrachten unsere wenige freie Zeit fast ausschlieÃlich auf dem Kasernengelände, das weitläufig war und jede Menge an Freizeitmöglichkeiten bot, vom Kino über Kneipen und Discos bis zu Sportangeboten aller Art. Wenn wir einmal ausgingen, lieÃen wir uns in einem Van mit abgedunkelten Fenstern in ein Stadtviertel bringen, in dem man uns nicht kannte und wo man uns für Touristen hielt, deren Gesichter sich niemand merkte.
Die Ausbildung dauerte ein Jahr. Von den zwanzig Rekruten, die mit mir begonnen hatten, waren am Ende zwölf übrig geblieben. Juli verlieh uns unsere Abschlussurkunden im Rahmen einer kleinen Feier, die im Kasernenkino stattfand. Wir waren unter uns. Eltern und Verwandte waren nicht eingeladen. Auch zu ihnen mussten wir Distanz halten. Es waren lediglich ein paar Dutzend älterer Protektoren anwesend, die, wie Juli, als Ausbilder arbeiteten, sowie die nach uns aufgenommenen Rekrutenjahrgänge.
Es war eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen wir unsere Uniform trugen. Julis Brust war geschmückt mit Orden und Plaketten, die er im Laufe seines langen Dienstes für besondere Einsätze und Leistungen erhalten hatte. Unsere Jacken waren, abgesehen von unserer Prüfungsmedaille, noch leer. Wir träumten von dem Tag, an dem auch wir stolz unsere Auszeichnungen würden zeigen können.
Inzwischen sind viele Jahre vergangen und ich weiÃ, dass sich dieser Traum für mich niemals erfüllen wird. Denn ich werde nach dem Ende dieses Auftrags nicht mehr zurückkehren können. Mein Dienst als Protektor ist damit beendet. Dank einer groÃzügigen Pension werde ich bis an das Ende meines Lebens keine Not leiden müssen. Und doch werden mir die Kameradschaft meiner Kollegen und das Bewusstsein, eine besondere Verantwortung zu haben und zu den elementaren Stützpfeilern des Staates zu zählen, fehlen.
Jetzt halte ich mich bereits über ein halbes Jahr in dieser Stadt auf, länger als bei jeder meiner bisherigen Missionen. Ich habe mich eingelebt, angepasst, bin einer von ihnen geworden, unauffällig, unerkannt, unbekannt. Und noch immer warte ich darauf, meinen Auftrag erfüllen zu können.
In den Nachrichten war in den letzten Wochen viel von einer geheimnisvollen Raumkapsel die Rede, die vor der Küste eines kleinen afrikanischen Staates gelandet ist. Ich frage mich, ob das wohl das Zeichen sein mag, auf das ich gewartet habe.
Jedenfalls habe ich die Zeit genutzt, um meine Vorbereitungen zu treffen und meine Pläne zu schmieden. Ich bin bereit. Alles andere liegt nicht in meiner Hand.
su:
Briefings
1.
Dagombé
Joel Winter saà in seinem kleinen Büro und studierte die letzten Berichte, die seine Agenten aus der Hauptstadt der Dynastie übermittelt hatten. Wie es aussah, hatte die Lobbyarbeit zugunsten einer Aufhebung des Importverbots für Pinidium aus Dagombé keinen Erfolg gebracht. Jetzt war er also gefordert.
Er warf einen Blick auf die Digitaluhr über der Tür. Es war früher Nachmittag, und die drückende Hitze drauÃen war unerträglich. In wenigen Tagen würde die Regenzeit beginnen. Die Luft war bereits jetzt so von Feuchtigkeit durchtränkt, dass man sie förmlich greifen konnte.
Fitzsimmons und de Moulinsart würden sich jetzt in ihren klimatisierten Büros im Forschungszentrum aufhalten. Die beiden hatten sich nach der ersten Besichtigung der Kapsel in ihren Zimmern eingeschlossen und eine rege Kommunikationstätigkeit mit ihren Diensten daheim aufgenommen. Seine Leute zeichneten zwar alle ein- und ausgehenden Nachrichten auf, aber Winter wusste, dass es Wochen dauern konnte, die darin versteckten Botschaften zu entziffern.
Wochen, die er nicht hatte.
Präsident Banda hatte deutlich gemacht, dass er einen schnellen Erfolg wünschte. Sowohl in der Pinidium-Angelegenheit als auch bezüglich der Raumkapsel. Jeder Tag, den die ausländischen Wissenschaftler sich im Land aufhielten, blutete den auf einen kleinen Rest zusammengeschmolzenen
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