Das Wörterbuch des Viktor Vau
Schreibtische auf einer Fläche, die höchstens für vier Arbeitsplätze gedacht war, jeder besetzt mit einem Ermittler, die Arbeitsflächen übersät mit Akten, Computerausdrucken, Fotos. Immer telefonierten mindestens drei seiner Mitarbeiter gleichzeitig; zudem waren zwischen die Tische noch drei Besucherstühle geklemmt, alle okkupiert von vermeintlichen Zeugen des letzten Verbrechens, das Fellners Männer bearbeiteten.
Es roch nach Schweià und abgestandenem Kaffee. Fellners Blick fiel durch eines der kleinen Fenster auf den blauen Himmel, der sich über der Stadt wölbte. Er musste kurz gegen den Impuls ankämpfen, die Fenster aufzureiÃen und die frische Luft hereinzulassen. Sein Hemd, das er erst vor vier Stunden angezogen hatte, klebte bereits an seinem Körper. DrauÃen waren es fast zwanzig Grad, und im gesamten Gebäude liefen die Heizungen auf Hochtouren. Aber es war undenkbar, die Fenster zu öffnen, denn der Verkehrslärm der Autos und der nahe gelegenen Bahnhöfe hätte jedes Wort unmöglich gemacht.
Der Kommissar fuhr sich durch die Haare und machte sich auf den Weg in die Pathologie. Als wenn er nicht schon genug Sorgen hätte! Drei Morde innerhalb von drei Wochen, und alles deutete auf einen Serientäter hin. Die Opfer, alle weiblich, stammten aus seinem Bezirk, dem sogenannten Kuppelquartier. Der Name hatte nichts mit den vielen Nachtbars und Bordellen zu tun, sondern ging auf die zahlreichen kleinen Kuppeln zurück, welche beinahe jedes zweite Gebäude im Viertel zierten. Das Quartier war bislang dem Wüten der Abrissbagger entgangen, die sich vom neuen Stadtzentrum aus unerbittlich in die AuÃenbezirke vorfraÃen.
Die letzte Leiche war gestern gefunden worden. Eine junge Frau, noch keine fünfundzwanzig Jahre alt. Fellner warf einen Blick auf seine Armbanduhr. In fünf Minuten war das Treffen mit dem Pathologen angesetzt.
Das war einer der Vorteile des alten Gebäudes, dachte er, während er die breite Steintreppe ins Souterrain herablief. Die Pathologie befand sich direkt im Revier und nicht eine Stunde Fahrtzeit entfernt in irgendeiner Klinik. Das beschleunigte die Ermittlungen ungemein.
Normalerweise.
Im Fall des Floristen aber hatten sie bislang noch keine heiÃe Spur.
Der Pathologe, ein jovialer, gut genährter Mann russischer Abstammung namens Ganudov, erwartete ihn bereits.
»Sie sollten Ihr Büro hierhin verlegen, gospodin «, tönte er, als er Fellners durchgeschwitztes Hemd bemerkte. »Bei uns ist es immer wohltemperiert.«
»Aber die Gesellschaft ist ein wenig einsilbig«, gab Fellner zurück.
»Das, gospodin , ist ein Irrtum«, korrigierte ihn Ganudov. »Jeder hier hat etwas zu sagen. Kein eitles Geschwätz, keine oberflächlichen Witzchen, sondern immer etwas Profundes. Sie würden es zu schätzen lernen, da bin ich mir sicher.«
Sie traten in den kleinen Obduktionsraum, der gerade einmal Platz für zwei Stahltische bot. Auf einem von ihnen lagen die Körperteile des Opfers.
Der Pathologe reichte Fellner einen stark nach Pfefferminze duftenden Mundschutz. Er selbst rümpfte lediglich kurz die Nase.
»Der Verwesungsprozess hat bereits eingesetzt«, sagte er. »Unser Blumenfreund muss sie eine Zeit lang gelagert haben.«
»Im Gegensatz zu den anderen«, bemerkte Fellner.
Ganudov nickte. »In diesem Fall hat er sich ein wenig mehr Zeit genommen als sonst. Damit hatte er allerdings das Problem der Entsorgung am Hals.«
Fellner deutete auf die Leichenteile. »Deshalb die Zerlegung.«
»Genau. Die Knochen wurden sorgfältig zersägt. Und zwar mit zwei verschiedenen Sägen. Er muss also über eine Art Hobbyraum verfügen.«
»Spuren sexueller Gewalt?«
Der Pathologe schüttelte den Kopf. »Nicht direkt.« Er drehte den Torso auf den Bauch. »Aber wie Sie sehen, hat er sie mit einem Stock geschlagen.«
»Eine Bestrafung also. Ob das sein Motiv ist?«
»Schlussfolgerungen sind Ihr Metier. Dafür werde ich nicht bezahlt.« Ganudov legte seinen Finger neben das fehlende Hautstück. »Hier hat sich unser Blumenfreund verewigt. Sauber und ordentlich, ebenfalls unter Verwendung mehrerer Schneidwerkzeuge.«
Der Kommissar studierte die Form des Schnitts. »Eindeutig eine Blume.«
»Eindeutig. Wenn Sie allerdings wissen wollen, welche, müssen Sie einen Botaniker hinzuziehen.«
»Ist bereits
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