Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
Vom Netzwerk:
»Am Tag schleichen sie mit eingeklemmtem Schwanz herum und sind unterwürfig, in der Nacht rotten sie sich zusammen und machen die Stadt unsicher.«
    Schließlich landete er zu seiner Erleichterung auf einem hell erleuchteten Platz. Rundum standen Taxis, die ihre Dienste anboten, und eine Handvoll Straßenhändler, die bereits um diese frühe Morgenstunde gestohlene elektronische Gerätschaften oder gefälschte Uhren feilhielten. Noch war von der Morgendämmerung nichts zu sehen. Auf dem Platz war es merkwürdig still. Es gab kein Geschrei, kein Anpreisen von Waren, keine plärrende Musik. Um diese Stunde schien das Leben noch genauso schläfrig wie die Menschen.
    Viktor folgte dem Strom der Passanten quer über den Platz und erreichte kurz darauf den Bahnhof der Stadt. Er betrat das Bahnhofsgebäude und stellte sich vor einem Ticketautomaten in die Warteschlange. Als er an der Reihe war, löste er für fünfzehn Credits ein Ticket nach Benké.
    Bis zur Abfahrt würde es zwei Stunden dauern. Zwei weitere Stunden, in denen man ihn aufspüren konnte. An den Wänden der Bahnhofshalle hatten sich fliegende Händler niedergelassen, die ihre Waren auf ausgebreiteten Decken feilboten und die, im Gegensatz zu dem Platz vorhin, ihre Angebote lauthals anpriesen. Über dem ununterbrochenen Gebrabbel Hunderter von Stimmen ertönte immer wieder ein quäkender Lautsprecher, der den nächsten einfahrenden Zug ankündigte, woraufhin regelmäßig ein Gedränge in Richtung der Bahnsteigzugänge einsetzte.
    Viktor überlegte noch, wo er so lange unentdeckt bleiben konnte, als ihn eine Unruhe in der Menge vor ihm aus seinen Gedanken riss. Eine Gruppe von vier uniformierten Polizeibeamten hatte die Halle betreten und kämpfte sich in seine Richtung vor. Instinktiv duckte er sich hinter einen der Automaten. Suchte man tatsächlich bereits nach ihm? Das konnte eigentlich nicht sein, es sei denn, ihn hatte doch jemand beim Verlassen des Hotels beobachtet. Oder hatte Volante gar seine Flucht verraten? Nein, das glaubte er nicht.
    Vorsichtig spähte Viktor zwischen den Leibern der vor ihm stehenden Passagiere hindurch. Eine Fluchtmöglichkeit bot sich ihm an dieser Stelle nicht. Die Wartenden vor den Automaten wichen zur Seite, und er sah die Uniformierten näher kommen. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand in die Innentasche seines Jacketts und umklammerte den Gegenstand, den er dort, eingewickelt in ein Taschentuch, verborgen hatte.
    Kurz bevor sie ihn erreicht hatten, bogen die Polizisten nach rechts ab und die Menge schloss sich hinter ihnen wieder. Viktor atmete aus und erhob sich. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis jemand die Videos aus der Halle auswertete. Volante hatte ihm versichert, dass es keine Überwachung in Echtzeit gab, sondern dass die Aufzeichnungen stichprobenweise durchgesehen und dann archiviert wurden. Viktor gab sich keinen Illusionen hin. Die Vorkommnisse in der Kapsel würden auf jeden Fall entdeckt werden.
    Er bahnte sich einen Weg durch das Gewühl in der Bahnhofshalle und nahm die erste Treppe nach oben. Seine Hoffnung, hier einen freien Sitzplatz zu finden, wurde enttäuscht. Die Menschen standen dicht gedrängt auf den schmalen Betonstreifen zwischen den Gleisen und warteten auf die Einfahrt des nächsten Zuges. Dagombé war einer der wenigen Plätze auf der Welt, an dem noch altmodische Züge auf Gleisen fuhren.
    Er kehrte um und folgte den Wegweisern zum Hinterausgang des Bahnhofs. Der Platz hier war kleiner als der vor dem Gebäude und schien allein der Vorfahrt von Taxis zu dienen, die in kurzen Abständen ihre menschliche Fracht vor der Tür absetzten.
    Bei seinem Rundgang um den Platz entdeckte er auf der anderen Seite einen Imbiss, der noch geschlossen war. Er setzte sich auf eine der beiden Holzbänke vor der Hütte und rutschte so weit wie möglich in deren Schatten. Lange würde er den Schutz nicht mehr genießen können, denn in der Ferne zeigten sich bereits helle Streifen am Horizont.
    Viktor beobachtete die An- und Abfahrten der Taxis. Unwillkürlich versuchte er, darin Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Selbst in dieser für ihn bedrohlichen Situation konnte er nicht davon ablassen, nach Mustern Ausschau zu halten, die sich in eine klar definierte Ordnung bringen ließen, um daraus dann Vorhersagen abzuleiten.
    Viktor wusste um seine Schwäche. Seit

Weitere Kostenlose Bücher