Das Wörterbuch des Viktor Vau
offenbar auch täuschen.«
»Gefühle sind manchmal die gröÃten Betrüger. Das weià ich auch.«
»Aber trotzdem â¦Â«
»Trotzdem bin ich überzeugt, dass es allein mit dem Verstand nicht funktioniert. Schon gar nicht bei Männern und Frauen.«
»Womit wir wieder beim Thema wären.«
»Männer und Frauen, ja. Mörder und Opfer.« Sie nahm einen weiteren Schluck.
Mehrere Minuten schwiegen beide. Es war, fand Enrique, kein unangenehmes Schweigen, eher eine Stille, die sie gemeinsam teilten. Das war ein Fortschritt gegenüber den ersten Treffen, die eher von Zurückhaltung geprägt waren. Er hätte gern mehr über diese Frau gewusst, aber sie gab nur wenig von sich preis. Die heutige Begegnung bestärkte ihn in seiner Vermutung, dass sie einmal schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben musste.
»Bringst du mich nach Hause?«, fragte Astarte schlieÃlich.
»Aber du hast noch nicht ausgetrunken«, erwiderte er und deutete auf ihr noch halb volles Glas.
»Ich will nur noch schlafen. Allein, damit wir uns nicht falsch verstehen.«
»Kein Problem.« Er winkte der Kellnerin und bezahlte. Zum ersten Mal bestand Astarte nicht darauf, ihren Teil zur Zeche beizusteuern, wie er erfreut feststellte.
Vielleicht war sie einfach zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt.
Oder sie war doch nicht ganz so unnahbar, wie sie immer vorgab.
4.
Dagombé
Volante hatte recht gehabt, dachte Viktor. In der Morgendämmerung zu Fuà durch die NebenstraÃen von Agua Caliente zu laufen, war für einen Ausländer nicht unbedingt empfehlenswert. Er hatte das Hotel durch den Hinterausgang verlassen, der in eine kleine Gasse mündete. Sie war von überquellenden Mülleimern gesäumt, die einen unangenehm süÃlichen Geruch verströmten.
Von dort war er dem von Volante mit Bleistift auf ein Blatt Schreibpapier des Hotels gezeichneten Plan gefolgt, den jener aus dem Internet kopiert hatte. Immer wieder musste er anhalten, um den richtigen Weg zu finden. Während das Zentrum von Agua Caliente noch einigermaÃen gut ausgeschildert war, fehlte es in den SeitenstraÃen nicht nur an Beleuchtung, sondern auch an StraÃenschildern.
So stolperte er durch die Dunkelheit, die lediglich durch die Lichter von Trinkhallen unterbrochen wurde, die nichts anderes waren als offene Fenster, aus denen der Wirt Bier in Flaschen durch ein Gitter herausgab und die selbst um diese Stunde gut besucht waren. Die dort versammelten Trinker beobachteten Viktor misstrauisch und, wie ihm schien, mit einem gierigen Blitzen in den Augen. Jedes Mal, wenn er an einem solchen Etablissement vorbeikam, beschleunigte er seine Schritte und richtete den Blick starr nach vorn. Er spürte, wie verkrampft er wirken musste, denn Nonchalance war etwas, das er nicht einmal vorgaukeln konnte.
Er hatte den Haupteingang des Hotels bewusst gemieden. Die ausländischen Gäste wurden rund um die Uhr von verschiedenen staatlichen und privaten Sicherheitsdiensten überwacht, die sich zwar diskret im Hintergrund hielten, aber dennoch allgegenwärtig waren. Deshalb hatte es ihn überrascht, so problemlos durch den Nebenausgang verschwinden zu können. Oder war er nur zu naiv, und sie beobachteten bereits jeden seiner Schritte?
Das Viertel, durch das er ging, besaà nichts von dem Glanz der HauptstraÃen Agua Calientes. Von den Gebäuden blätterte der Putz ab, und oft waren ganze Mauerteile herausgebrochen und gaben den Blick auf das Innere frei, in dem unter notdürftig gespannten Plastikplanen etwas stattfand, das man nicht wirklich als Privatleben bezeichnen konnte.
Viktor blieb unter einer Laterne stehen, die an einem Kabel über der StraÃe baumelte, und studierte erneut Volantes Skizze. Er hatte das Gefühl, sich bereits jetzt rettungslos verlaufen zu haben. Flavio hatte von einem Supermarkt an einer Kreuzung gesprochen, an dem er wieder in Richtung Stadtzentrum abbiegen sollte, aber alles, was er vor sich sah, waren dunkle Gebäude, deren ebenerdige Fenster mit Stahlplatten verrammelt waren. Ob sich dahinter Lebensmittel oder Macheten verbargen, war nicht zu erkennen.
Auf gut Glück bog er nach rechts in die StraÃe ein. Aus einem Haus drang Babygeschrei, und in der Ferne bellte ein Hund. Unwillkürlich blickte er sich um, aber die StraÃe hinter ihm war leer. Flavio hatte ihn vor den streunenden Hunden der Stadt gewarnt:
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