Das Wolkenpferd
einen Plan geschmiedet...
Jette warf noch einmal einen Blick auf ihre Armbanduhr.
11.30 Uhr.
„Von wem also wurde Napoleon bei Waterloo besiegt?"
Jettes Geschichtslehrerin ließ ihren Blick über die Stuhlreihen gleiten.
„Na, Jette Jaspersen?"
Mit hochrotem Kopf schrak Jette auf. „Elfuhrdreißig", sagte sie prompt, und die ganze Klasse prustete los.
Zur selben Zeit in Hamburg. Herr Hinrichs wusch sich nach dem Füttern der Schul-pferde seine Hände und riss dann die drei Umschläge auf, die heute im Briefkasten gelegen hatten. Einer war vom Wasserwerk, einer vom Finanzamt und einer ohne Absender mit einer dänischen Briefmarke.
Den ohne Absender nahm Herr Hinrichs sich zuerst vor. Er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen, schlug die Beine übereinander und studierte den Inhalt.
„... sie ist eine richtige Schönheit", las er stirnrunzelnd, „nur ein kleines bisschen furchtsam. Ihr Name ist Santana, sie steht in der zweiten Box vorne links. Sie braucht ein ruhiges Pferd in ihrer Nähe, am besten Leila, dann ist sie supergut."
Erstaunt betrachtete Herr Hinrichs die Mädchenschrift. Er kannte den Stall an der dänischen Nordsee, der hier beschrieben wurde. Seine große Stute Leila hatte er dort gekauft, sie war ein ausgezeichnetes Schul-pferd geworden. Doch wer konnte davon wissen? Wer, außer Herrn Jaspersen, dem dänischen Stallbesitzer? Würde der ihm so einen Brief schreiben? Nein, niemals, entschied Herr Hinrichs.
Achzelzuckend steckte er den Brief in seine Westentasche. Vielleicht kannte Herr Jaspersen die Schrift? Heute Nachmittag wollte er sowieso ins drei Stunden entfernte Dänemark fahren, um sich in Jaspersens Stall nach einem neuen Schulpferd umzusehen.
Natürlich hatte Miriam davon Wind gekriegt. Ein Telefonanruf nach Dänemark genügte -und Jette Jaspersen hatte den „Empfehlungsbrief" zum richtigen Zeitpunkt abgeschickt.
Die Straßen nach Flensburg und weiter über die dänische Grenze nach Tander bis hin zu dem kleinen Nordsee-Ort, wo Jaspersens Reitschule lag, war überraschend leer.
Schon am frühen Nachmittag kam Herr Hinrichs mit seinem Jeep und dem Pferdehänger dahinter auf dem Hofgelände an. Suchend ging er um die gepflegten braunen Stallgebäude herum, aber es war noch Mittagsruhe und niemand zu sehen.
Weil die Stalltür offen stand, ging Herr Hinrichs allein durch die Stallgasse mit den zwei langen Boxenreihen und sah sich die Pferde in Ruhe an. Was er suchte, war ein großes Pferd, das auch schwere Reiter tragen konnte. Der schwarze Wallach in der vorletzten Box gefiel ihm. Wenn der Rappe auch beim Reiten so einen guten Eindruck machen würde, käme der für ihn in Frage.
Gemächlich schlenderte Herr Hinrichs durch die Stallgasse zurück, um Herrn Jaspersen im Büro zu suchen. Doch plötzlich - was hielt ihn da am Ärmel zurück? Etwas ärgerlich sah er sich um, und die kleine Stute ließ sofort seinen Ärmel los, den sie vorsichtig mit den Lippen gepackt hatte. Als Herr Hinrichs stehen blieb, rückte Santana ganz an eine Seite ihrer Box und streckte Herrn Hinrichs die Nase zum Kraulen hin.
„Du willst wohl, dass ich zu dir hereinkomme, was?", schmunzelte Herr Hinrichs und öffnete die Boxentür. Die braune Stute hatte ein auffallend liebes Gesicht, aus dem ihn klare Augen vertrauensvoll anblickten. Aber auch ein kleines bisschen furchtsam. Santana kuschelte sich sofort an Herrn Hinrichs Weste. Nimmst du mich mit?, schienen ihre dunklen Augen zu fragen.
„Das geht leider nicht", sagte Herr Hinrichs, denn er verstand das Verhalten des Pferdes sofort richtig. „Ich brauche ein starkes Pferd. Du bist zu zierlich für meine großen Reiter." Er strich der hübschen Stute noch einmal über die Nase und trat dann wieder auf die Stallgasse.
„Santana", las er auf dem Namensschild. Das war also die Stute aus dem Brief. Eine kleine Schönheit, wirklich. Als Herr Hinrichs weiter-gehen wollte, drückte Santana ihren Kopf gegen die Tür und schnaubte leise.
„Ich habe schon so viele zierliche Pferde wie dich", meinte Herr Hinrichs bedauernd.
„Ein großes Pferd ... ich brauche ein großes Pferd."
Nimm mich doch mit!
Herr Hinrichs drehte sich schnell um. Er kannte sich. Wenn er nicht aufpasste, fuhr er gleich mit zwei Pferden nach Hause. Aber er musste hart bleiben, so niedlich die kleine Santana auch war. Er brauchte ein kräftiges Pferd, so wie der Wallach in der Ecke.
Und damit basta.
„Ja, unsere Santana ist ein richtiges Juwel." Wie aus dem Erdboden
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