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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Raunen starrten herübe r z u dem Felsvorsprung, unter dem die beiden Zuflucht gesucht hatten.
    Auf den Zügen der Kriegerin erschien eine Regung, die gri m miger Freude gefährlich nahe kam.
    » Du willst doch nicht da rausgehen! «, entfuhr es Feiqing.
    » Bleib so lange wie möglich unter den Felsen. Vielleicht wagen sie sich nicht bis hierher. Sie verlassen ihre Wälder nur, wenn sie keine andere Wahl haben. «
    » Aber diese Felsen liegen mitten im Wald! «
    » Der offene Streifen davor könnte breit genug sein. Mit ein wenig Glück jedenfalls. «
    Panisch sah Feiqing hinaus ins Gewitterdunkel. So lange kein Blitz über den Himmel jagte, war es zu finster, um irgendetwas zu erkennen. Er wusste nicht, ob die Raunen nur dastanden und herüberstarrten oder ob sie näher kamen. Das eine machte ihm fast so viel Angst wie das andere.
    » Vielleicht haben sie uns nicht gesehen «, sagte er kläglich.
    » Vielleicht. « Es war offensichtlich, dass sich Wisperwind dadurch nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ . Sie brauchte Ablenkung von ihren düsteren Gedanken . Ein Kampf mit den Raunen war die beste Gelegenheit . Dass sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzte, machte die Aussicht auf das Gefecht für eine Schwertmeisterin wie sie nur noch reizvoller.
    » Wenn ich nicht zurückkomme, warte hier, bis es hell wird «, sagte sie. » Dann schlag dich nach Norden durch.
    Du wirst dort auf eine Bergkette stoßen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Drachenfriedhof. «
    » Mich durchschlagen? «, lamentierte er. » Vielleicht mit me i nem Drachenschwanz? «
    Aber da durchstieß sie schon den Regenvorhang und war fort.
    » Was ist mit dem Gewitter? «, rief er hinter ihr her. » Blitz und Donner … schon vergessen? «
    Draußen wurde das Unwetter vom Geschrei der Raunen übertönt.
     
    STILLE WIPFEL
     
    W isperwind fegte hinaus ins Gewitter. Ihre Füße berührten kaum den Boden, während sie den Streifen aus Gras und Moos überquerte und sich den Raunen entgegenwarf. Der Regen schlug ihr ins Gesicht, aber sie spürte ihn kaum. Ihr Blick war ganz auf ihre Gegner konzentriert, alle fast unsichtbar in der Dunkelheit. Es tat gut, nicht denken zu müssen. Nur reagieren. Das war es, was sie seit jeher am besten konnte. Die Erinneru n g - en, die das Gespräch mit Feiqing emporgespült hatte, verblas s ten bereits.
    Der erste Raun stürzte ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen. Jadestachel hieb ihn mit einem z-förmigen Hieb in Stücke. Die Wolke aus Herbstlaub, zu der er zerplatzte, wurde augenblic k lich vom Regen zu Boden gedrückt . Wisperwind war das nur recht. Sie hatte oft genug gegen Raunen gekämpft, um zu wissen, wie gründlich die aufstiebenden Laubsplitter einem die Sicht rauben konnten.
    Zwei weitere Kreaturen griffen sie an. Sie wich der einen aus – zu schnell, um selbst einen Schlag zu platzieren – und sprang über das untere Armpaar der zweiten hinweg. Dass sie für einen Sekundenbruchteil die beiden oberen Arme des Wesens vergaß, war ein sicheres Anzeichen für die Verwirrung, die ihr insg e heim noch immer z u s chaffen machte. Sie wollte jetzt nicht mehr an all die Toten denken, für die sie die Verantwortung trug, und sie lenkte sich ab durch – noch mehr Töten. Das war ihr Fluch, und in gewisser Weise wog er ebenso schwer wie der, unter dem Feiqing zu leiden hatte.
    Schwertmeister waren keine Mörder. Das lernten sie sofort nach ihrer Aufnahme in einen der Clans. Zweifel wurden nicht zugelassen und von den Lehrmeistern durch harte Strafen zerschlagen. Wer fragte, was aus den Familien jener wurde, die ein Schwertmeister tötete, handelte sich Stockhiebe und Schlimmeres ein. Nicht alle Narben an Wisperwinds Körper stammten von den Klingen ihrer Gegner.
    Das obere Armpaar des Rauns hätte sie fast zu packen b e kommen. Im Federflug schoss sie steil nach oben. Jeder Mensch kennt das Gefühl, gegen fallenden Regen anzukämpfen; aber es ist ein Unterschied, am Boden durch ein Unwetter zu laufen oder aber ihm geradewegs entgegenzufliegen. Sekundenlange Blindheit. Vernebelung fast aller Sinne. Und, wenn es ganz schlimm kommt, momentane Orientierungslosigkeit.
    Als Wisperwind den höchsten Punkt ihres Aufstiegs erreichte, hatte sie keine Ahnung mehr, wie weit sie vom Boden entfernt war. Oberhalb der höchsten Bäume, das stand fest.
    Donner grollte.
    Eine Sekunde später verästelte sich eine Kralle aus Blitzen über den dunkelgrauen Himmel. Nicht weit von ihr schlug ein weißer Glutfinger in eine Baumkrone

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