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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wisperwinds Plan ging auf. Statt den Rattendrachen in seinem Versteck anzugreifen, verfolgten sie die Kriegerin, die jetzt bereits über ein Dutzend ihrer Brüder und Schwestern auf dem Gewissen hatte.
    Sie hätte gern länger gewartet, bis die ersten unmittelbar unter ihr waren. Sie konnte sie schon sehen, tief drunten im Lau b schatten, wo sie sich gegenseitig beim Klettern behinderten, auf den ersten Blick selbst Teil der Bäume, erst auf den zweiten etwas Lebendiges, Tödliches.
    Es donnerte. Der Blitz schoss herab, diesmal fast schnurger a de, so als hätte er aus dem Fehlschlag von vorhin gelernt.
    Wisperwind stieß sich ab und spürte die ungeheure Hitze der Entladung im Rücken, ein Knistern, das alle Härchen auf ihrem Körper aufstellte. Aber auch diesmal war sie schneller.
    Der Blitz fuhr mit Getöse in den Baum. Krachend gingen die Äste in Flammen auf. Zahllose Raunen zerplatzten von der Wucht des Einschlags, weitere explodierten zu lebenden Fackeln, ehe der Tod sie zu Asche zerstäubte.
    Und Wisperwind lief weiter, von einem Baum zum nächsten, tanzte über das Dach des Waldes wie eine Fee in stiller Nacht auf einem einsamen See. Um sie herum brüllte der Himmel, schrie der Donner, kreischten die Blitze. Weitere Bäume wurden zu Flammenbällen. Dutzende Raunen kletterten stumpfsinnig in ihr Verderben. Ehe der Sturzregen die Feuer löschen konnte, hatte Wisperwin d e ine Spur aus brennenden Bäumen durch den Wald gezogen, kreuz und quer, fort von den Felsen, und doch nicht zu weit, um später rasch dorthin zurück kehren zu können.
    Das Geschrei der Raunen wurde leiser, ihre wütenden Rufe verzweifelter. Manche mochten aufgeben und fliehen – vor den Blitzen, nicht vor Wisperwind, aber das konnte ihr nur recht sein –, andere verfolgten sie weiter . Doch mit jedem Blitzschlag, den sie mit ausgestrecktem Schwert herbeilockte, wurden ihre Gegner weniger. Viel schneller, als sie das mit der Klinge hätte erledigen können, löschte das Gewitter ganze Pulks ihrer Feinde aus, verwandelte Raunenhorden in glühenden Ascheregen, zerstäubte sie zu lodernden Funken. Und während der ganzen Zeit fegte Wisperwind im Federflug über die höchsten Kronen des Waldes hinweg, balancierte auf Zweigen und Blättern, lachte dem prasselnden Regen entgegen und vollführte blitzende Schwer t schläge ins Leere.
    Das Gewitter tobte mit unverminderter Wut, während sie im Zickzack über den schwarzgrünen Ozean aus Baumkronen jagte, den brennenden Eichen, Buchen und Ginkos auswich, rauchende Löcher umging, wo eben noch mächtige Bäume gestanden hatten, und so lange vor weiteren Blitzen floh, bis sie ganz sicher sein konnte, dass in weitem Umkreis kein Raun mehr am Leben war.
    Zuletzt kehrte sie zurück zu den Felsen, kroch zu Feiqing unter den Vorsprung und rollte sich zusammen wie ein Kind, schluc h zend und zitternd aus Angst vor dem Gewitter.
     
    TlEGUAI
     
    N iccolo hätte sich keine bessere Umgebung für einen Unsterbl i chen vorstellen können. Das Gebirge war Stein gewordene Ewigkeit, ein überwältigendes Panorama aus Felsgiganten und tiefem Blau. Wenn es irgendwo eine Verbindung zwischen Menschen und Göttern geben konnte, dann hier, wo die Gipfel der Welt die Unendlichkeit berührten.
    Tieguai landete seinen Riesenkranich auf einem ovalen Fin d ling, der scheinbar schwerelos auf dem einsamen Bergkamm balancierte. Ohne ein Wort stieg der Unsterbliche ab. Der Vogel war so unvermittelt aus dem Himmel herabgeschwebt, dass Niccolos Atem noch immer von der anstrengenden Wanderung raste. Das Auftauchen des Xian tat ein Übriges.
    Niccolo wusste nicht recht, wie er sich im Angesicht des Unsterblichen verhalten sollte, darum beugte er ein Knie und senkte den Kopf. » Meister Tieguai «, sagte er nach tiefem Luftholen. » Ich bin Niccolo Spini. Euer Bruder Li schickt mich zu Euch. « Das war nur die halbe Wahrheit; tatsächlich hatte Niccolo Li gebeten, Tieguai aufsuchen zu dürfen, weil er hoffte, Mondkind hier wiederzusehen.
    Der Xian ließ sich wortlos im Schneidersitz nieder . Schwe i gend sah er ins Sonnenlicht hinauf, schloss nach einem Moment die Augen und schien die erhabene Ruhe des Gebirges zu genießen.
    Niccolo musterte den Unsterblichen neugierig. Das mochte unhöflich sein, aber stumm zu Boden zu starren erschien ihm albern und irgendwie unpassend.
    Tieguai war älter als Li – oder war es zumindest damals gew e sen, als Tiandi, der Himmel und höchste aller Götter, ihm die Unsterblichkeit geschenkt

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