Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
hinuntersteigen, finden wir ein zweites Loch in der Außenwand. Irgendetwas ist noch oben in der Luft in den Brückenkopf des Schiffes eingedrungen und hat hier drinnen getobt.« »Drachen?«
»Zumindest sind sie groß genug, um ein Gildenschiff in der Luft anzugreifen. Und es würde mich nicht erstaunen, wenn sie seine wunde Stelle kennen.«
Sie schluckte die Bemerkung, dass sie das Luftschiff für eine ¿inzige wunde Stelle hielt. Die Papierwaben und hölzernen Streben boten so viel Angriffsfläche, dass ein Gegner freie Wahl hatte, wo er mit der Zerstörung beginnen wollte. Vorausgesetzt natürlich - und damit hatte Kangan Recht -, dieser Gegner konnte fliegen und das Schiff überhaupt erst hoch oben über dem Erdboden erreichen. Auch ihr fiel keine Kreatur außer einem Drachen ein, die so etwas zu Stande brachte.
»Du willst dort hinunter?«, fragte sie.
»Wenn wir Gewissheit haben wollen.«
Sie packte ihn am Arm und zwang ihn, den Blick von dem gezahnten Abgrund zu nehmen und sie anzusehen. Sie senkte die Stimme, damit die anderen Soldaten sie nicht hörten. »Falls es wirklich ein Drache war, der dieses Schiff zum Absturz gebracht hat, was bedeutet das für die Verhandlungen?«
»Das habe nicht ich zu entscheiden.«
»Aber wir sollten darüber nachdenken, bevor wir etwas Unüberlegtes tun.«
»Ich bin Soldat, Wisperwind. Kein Gildenmeister. Ich erfülle meine Befehle, das ist alles.«
»Dann solltest du dieses eine Mal über deinen Schatten springen und dir über die Konsequenzen im Klaren sein.«
Er sah sie eindringlich an. »Bist du deshalb nicht mehr bei deinem Clan? Weil du zu viel über Konsequenzen nachgedacht hast?«
Es schmerzte, wie leicht er sie durchschaute. Und zugleich berührten seine Worte etwas in ihr, das sie lange Zeit nicht mehr gespürt hatte. Halt dich von dort fern!, durchzuckte es sie alarmiert. Einmal, vor vielen Jahren, hatte sie zugelassen, dass ihre Gefühle zu ihrer Schwachstelle wurden. Ein zweites Mal würde das nicht geschehen.
Sie hielt seinem Blick stand. »Wenn wir Beweise finden, dass ein Drache das Gildenschiff zerstört hat, dann wird es kein Bündnis zwischen Geheimen Händlern und Drachen geben. Das weißt du genau! Eure Kapitäne sind viel zu stolz und zu arrogant, um das Wohl aller im Blick zu behalten.«
»Wie könnten wir uns mit jemandem verbünden, der so viele von uns getötet hat?«
»Erstens: Du weißt nicht, aus welchem Grund all das hier geschehen ist. Zweitens: Du hast selbst gesagt, das hier waren keine Chinesen. Und drittens: Der Aether bedroht uns alle, und darum spielt es keine Rolle, was hier irgendwann einmal vorgefallen ist. Wir müssen gemeinsam gegen ihn kämpfen.«
Er starrte sie so finster aus seinen Eulenaugen an, dass sie schon fürchtete, er würde ihren Einwänden kein Gehör schenken und seinen Soldaten umgehend den Befehl zum Abstieg ins Untergeschoss geben. Doch er schwieg weiter, blickte von ihr zurück zu dem schwarzen Loch im Boden, dann hinauf zu den eisummantelten Goldfäden.
»Hauptmann!« Die Stimme eines Soldaten riss beide aus ihrem stummen Ringen. »Wir haben Aufzeichnungen gefunden. Das meiste ist zerfallen. Aber die Wortfetzen auf den Überresten sind Russisch.«
Lange presste Kangan die Lippen aufeinander, ehe er schließlich nickte. »Wer immer das hier getan hat«, sagte er zu Wisperwind, »der hat gewiss keine Unschuldigen getötet.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Die Geheimen Händler aus Russland sind... sagen wir: keine freundlichen Menschen.« Er lächelte schwach. »Du würdest sie nicht mögen, glaub mir.«
»Nicht... mögen?«, fragte sie ungläubig. Dann aber begriff sie: »Sie sind es, gegen die ihr Krieg geführt habt? Wovon du in der Taverne gesprochen hast... diese Kämpfe um Territorien unter euch Händlern. Das war ein Krieg zwischen euch und Schiffen wie diesem? Zwischen Chinesen und Russen?«
Er nickte abermals und sah dabei fast erleichtert aus. Als wäre er dankbar, dass die Entscheidung für oder gegen die Drachen unverhofft von seinen Schultern genommen worden war.
»Wir ziehen uns zurück!«, rief er seinen Leuten zu. »Hier gibt es nichts mehr zu tun!«
Er erntete ein paar verwunderte Blicke, aber keiner widersprach. Wisperwind unterdrückte ein Lächeln. Sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Er war ein guter Soldat, aber er wäre ein noch besserer Gildenmeister gewesen.
Gerade wollten sie aus den Trümmern ins Freie klettern, als von draußen ein Schrei
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