Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
ertönte. Dann ein vielstimmiges Fauchen und Kreischen.
Also doch keine Spiegelbilder, dachte sie grimmig und riss das Schwert in die Höhe.
Im selben Moment fiel ein mächtiger Schatten über sie alle. Die Sonne verschwand hinter der Abendstern. Die Luft wurde schlagartig um viele Grade kälter.
In ihrem Rücken quoll die Schwärze aus dem Loch empor und explodierte zu einer Flut von Leibern.
Gefecht auf dem Eis
Sie strömten aus der Dunkelheit und den Kristallschatten zwischen den Eiszapfen. Sie kamen von allen Seiten.
»Juru!«, brüllte Wisperwind und führte den ersten Hieb gegen die Gegner.
Sie hatte schon früher gegen die Felsenwesen gekämpft, während ihrer Wanderungen durch die Weiten Chinas und davor, als Clanmeisterin der Stillen Wipfel. Aber noch nie hatte sie so vielen von ihnen auf einmal gegenübergestanden. Auch Kangan und die anderen Soldaten im Inneren der Brücke schienen den Juru nicht zum ersten Mal zu begegnen; sie bekamen ihr Entsetzen rasch in den Griff und stellten sich zum Kampf.
Aus dem Augenwinkel sah Wisperwind, dass weitere Juru auf die Wächter im Freien eindrangen. Die Wesen tobten aus allen Richtungen herbei, so als hätten sie nur darauf gewartet, dass die Abendstern die Sonne verdunkelte. Das halbe Dutzend Männer und Frauen im Schnee schoss mit den Armbrüsten auf die heranstürmenden Kreaturen. Eisenscheiben durchschlugen die dürren Körper, zertrümmerten Hornspitzen an Armen und Beinen oder gruben sich tief in peitschende Schädelwülste. Die Armbrüste konnten ohne Nachladen drei Scheiben hintereinander abschießen; alle achtzehn Geschosse trafen innerhalb weniger Sekunden ins Ziel. Doch selbst damit hielten die Soldaten die Flut ihrer Gegner nicht auf.
Im Inneren der Brücke wurde nicht geschossen. Wisperwind, Kangan und die anderen fochten mit blanken Klingen gegen die Heerschar der Felsenwesen. Immer mehr von ihnen kletterten wie Ameisen aus dem Untergeschoss des Wracks herauf und warfen sich mit Knochendornen und tobenden Schädelsträngen auf die Menschen.
Wisperwinds Schwert fuhr fauchend unter die Gegner. Sie vernahm das jubelnde Flüstern der Götterklinge, als der rasiermesserscharfe Stahl die Körper der Juru durchbohrte und Feinde zu beiden Seiten niederstreckte. Der muskulöse Schädelwulst eines Felsenwesens raste wie ein Rammsporn auf sie zu, während zwei andere in weiten Sprüngen in ihre Richtung schnellten. Wisperwind wich dem Schlag des ersten Angreifers aus und ließ das Schwert herumwirbeln. Die Klinge schnitt wie Butter durch Muskeln und Knorpel. Noch in derselben Bewegung wirbelte Wisperwind herum, empfing den nächsten Angreifer mit einem Tritt vor die magere Brust und musste sich dann auch schon unter den zuschnappenden Armdornen des dritten hinwegducken. Jadestachel webte ein tödliches Netz aus Silberbahnen um seine Trägerin.
Kangan erwehrte sich seiner Feinde nicht mit der tanzartigen Kampfkunst, die Wisperwind so vollendet beherrschte. Sein langes Messer stieß in kurzen Bewegungen vor und zurück, trennte nie ganze Körperteile ab wie Jadestachel, sondern traf gezielt jene Punkte, die einen Gegner mit einer einzigen Wunde außer Gefecht setzten: ein Stich ins Herz, unters Brustbein oder dorthin, wo bei einem Menschen der Hals und bei einem Juru die Wurzel des Schädelstrangs saß.
Die übrigen Soldaten fochten mit unverminderter Wut einen aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht der Felsenwesen. Wisperwind sah zwei von ihnen unter einer Flut von Juru zu Boden gehen. Eine dritte Soldatin wurde von einem heranspringenden Gegner von den Füßen gerissen und zwei Meter über dem Boden an die Brückenwand genagelt: Das Felsenwesen hing seitlich am Holz wie eine Spinne, den toten Körper zwischen sich und der Wand verkeilt.
Einem anderen Soldaten wollte Wisperwind zu Hilfe kommen, doch ein Juru packte ihn und stieß ihn durch eines der zerbrochenen Bugfenster. Mit allen vier Knochendornen landete die Kreatur auf dem Mann und wippte triumphierend auf und ab, während sich unter ihr der Schnee dunkelrot färbte.
Zugleich wurde die Lage der sechs Wächter im Freien immer verzweifelter. Drei waren bereits gefallen, zwei weitere in aussichtslose Kämpfe gegen eine Übermacht von Juru verstrickt. Der letzte Soldat, der mehr Gegner niedergestreckt hatte als jeder seiner Gefährten, stieß einen zornigen Kriegsschrei aus und stürzte sich mitten in einen Pulk von Felsenwesen, die gerade erst aus den Schatten herbeigestürmt waren. Mehrere
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