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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gletscherlandschaft spiegelte sich auf dem blanken Stahl; die Klinge schien in weiße Glut getaucht, so als hätte sie gerade noch auf dem Amboss der Lavaschmiede gelegen.
    Auf ebener Erde erwies sich das Trümmerfeld schon bald als unübersichtliches Labyrinth. Das geborstene Gitterwerk des Schiffsgerippes bedeckte das Eis wie eine
    Geisterstadt aus riesenhaften, bizarr geformten Käfigen. Von oben und im grellen Sonnenschein hatte das Gletschereis glatt ausgesehen, doch hier unten erwies es sich als zerfurchtes Auf und Ab aus Spalten und ineinander verschobenen Schollen. Die Schneedecke war hart wie Fels ünd gab unter den Schritten der Soldaten kaum nach. Dann und wann fluchte jemand, wenn er auf dem glatten Untergrund den Halt verlor und nur mit Mühe auf den Beinen blieb.
    Wisperwind näherte sich Kangan, bis sich beinahe ihre Schultern berührten. »Haben deine Leute jemals auf Eis gekämpft?«, flüsterte sie.
    »Das sind gute Soldaten. Mach dir um sie keine Sorgen. «
    »Nicht um sie«, sagte sie leise, »Aber sie werden mir im Weg sein, falls wir angegriffen werden.«
    Kangans Blick schwankte zwischen Vorwurf und grimmiger Belustigung. »Du hast diese Gegend von oben gesehen. Was sollte uns hier draußen wohl angreifen? Und aus welchem Grund?«
    »Versteht das Tier, warum ihm der Jäger eine Falle stellt?«
    »Schon wieder eine Weisheit des Tao?«
    »Gesunder Menschenverstand. Was immer in diesen Bergen leben mag - wir haben ihm genug Zeit gegeben, uns zu entdecken.« Sie deutete nach oben, wo die Abendstern wie eine Gewitterwolke am Himmel über dem Gletscher hing. »Nicht mehr lange und die Sonne verschwindet hinter dem Schiff.«
    »Dann wird uns der Schnee nicht mehr blenden.«
    »Hast du einen Blick in die Gletscherspalten geworfen? Wenn der Schatten der Abendstern auf uns fällt, wird auch die Dunkelheit aus der Tiefe aufsteigen.«
    »Ich fürchte die Dunkelheit nicht.«
    »Dann weißt du nicht, was sich in ihr verbergen kann.«
    Sie folgten einer Schneise, die sich in einiger Entfernung an einem hölzernen Keil gabelte, hoch wie ein Turm. Dahinter wölbte sich die Kuppel des größten Trümmerstücks; auf Wisperwind wirkte es wie die Ruine eines Tempels, vergessen im ewigen Eis.
    Alle Oberflächen der Wrackteile waren mit Schnee verkrustet. Von den Kanten hingen mannslange Eiszapfen, bildeten kristallene Säulenarkaden und glitzernde Vorhänge. Manchmal nahm Wisperwind im Vorübergehen Bewegungen wahr: nur ihre Spiegelbilder, die von einem Eiszapfen zum anderen glitten.
    Kangan gab einigen Soldaten Befehl, ihre Klingen zu ziehen. Sie hängten sich die Armbrüste über den Rücken -was sie, wie Wisperwind missbilligend feststellte, beim Kämpfen behindern würde - und brachten unter ihren Felljacken unterarmlange Messer von eigenartiger Form zum Vorschein: Sie waren in der Mitte gebogen und wurden zur Spitze hin breiter. Das waren keine Waffen, wie sie im chinesischen Reich gebräuchlich waren, vielmehr hatten sie Ähnlichkeit mit den Klingen indischer Dschungelstämme. Irgendein Tauschgeschäft, vermutete sie.
    »Wie willst du herausfinden, was hier geschehen ist?«, fragte sie den Hauptmann.
    Kangan deutete auf das keilförmige Trümmerstück, das vor ihnen die Schneise spaltete. Im Gegensatz zu den Gitterstrukturen der anderen Überreste war dieser Teil des Schiffes einmal mit Holz verkleidet gewesen. Beim Aufprall waren die Platten an vielen Stellen abgeplatzt. Ein paar Meter über dem Boden befanden sich zwei hohe leere Rechtecke; was auf den ersten Blick wie Eis aussah, entpuppte sich als scharfe Glassplitter rund um die Fensterkanten.
    »Die Kommandobrücke«, sagte Kangan. »Oder was davon übrig ist.«
    Sie war nicht sicher, was er dort zu finden hoffte, stellte aber keine Fragen. Der Hauptmann verwirrte sie. Seine Stimmung konnte in Sekundenschnelle von offener Neugier zu stoischer Verschlossenheit wechseln. Zum Teil hatte das gewiss mit der Anwesenheit seiner Untergebenen zu tun, aber auch mit seinem Gefühl für Pflichterfüllung. Sie begann nur ganz allmählich, ihn zu verstehen. Und mit dem Verständnis wuchs ihr Respekt.
    »Da war etwas!«, rief ein Soldat. »Bewegungen, links von uns.«
    Armbrüste wurden herumgerissen. Die Männer und Frauen mit den gebogenen Messern spannten sich.
    Wisperwind bewegte sich nicht. Auch bei näherem Hinsehen entdeckte sie nichts, keine Spur von Leben. Möglicherweise hatte sich der Soldat, genau wie sie selbst vorhin, von einer Reflexion täuschen lassen.

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