Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Dabei waren die vereisten Oberflächen und Zapfen, auf die er gezeigt hatte, eigentlich zu weit entfernt, als dass sich der Trupp darin hätte spiegeln können.
Kangan forderte seine Soldaten zu erhöhter Wachsamkeit auf und wählte vorsichtshalber die rechte Abzweigung, um auf die andere Seite des gewaltigen Trümmerstücks zu gelangen.
Die Kommandobrücke eines Gildenschiffs saß wie ein Fischkopf am vorderen Ende des ovalen Wabenbalgs. Allerdings schien es sich bei dem Wrackteil, das sich vor ihnen erhob, auf den ersten Blick nur um die obere Hälfte der Brücke zu handeln - bis sie die Trümmer umrundet hatten und entdeckten, dass irgendetwas noch in der Luft den gesamten Vorderteil des Schiffes abgerissen hatte. Die Brücke war herabgestürzt und hatte sich mit ihrem spitzen unteren Ende aufrecht in den Gletscher gebohrt. Die Gitterkuppel, die gleich dahinter in einem Berg aus geborstenem Holz und Schnee lag, musste ein Stück von der oberen Rundung des Schiffes sein.
Sie befanden sich jetzt an der Rückseite der Kommandobrücke und blickten von dort aus in ihr Inneres wie in ein Puppenhaus. Früher hatte sich hier der Wabenbalg angeschlossen. Nun aber lag die obere Etage der Brücke als offener Querschnitt vor ihnen. Schneewehen hatten den einstigen Befehlsstand und den angrenzenden Kartenraum in Besitz genommen. Die untere Etage lag im ewigen Eis begraben. Dafür, dass der Aufprall sie nicht völlig zerstört hatte, sprach allein ein horizontaler Spalt unterhalb des Etagenbodens, der einen Blick in einen tiefschwarzen Hohlraum gestattete.
Die obere Hälfte des Fischkopfes, jener Teil also, der aus dem Boden ragte, reichte dreißig Meter in die Höhe und warf einen Schatten in Form eines Fangzahns über das Dutzend Menschen an ihrem Fuß.
Auf Kangans Befehl hin bezogen sechs seiner Leute Wachtposten an der Brückenrückseite. Er selbst betrat mit Wisperwind und den übrigen sechs Soldaten die Ruinfe des Kommandostandes. Dabei mussten sie über den schwarzen Spalt zum Untergeschoss steigen; er war nicht einmal einen Meter hoch, so dass kaum Licht in jenen Teil der Brücke fiel, der jetzt im Gletscher begraben lag.
Eisverkrusteter Schnee bedeckte das Innere, hohe Wälle, die an den zerstörten Apparaturen festgefroren waren. Nirgends waren Leichen zu sehen. Wisperwind vermutete, dass sie von Wölfen oder anderen Aasfressern davon-geschleppt worden waren; möglich, dass einige noch unter dem Eis begraben lagen.
Es dauerte nicht lange, ehe Kangan eine Entdeckung machte. Während die anderen die Überreste des Raumes unter die Lupe nahmen, kletterte er zielstrebig über Eiswälle und Trümmer zu jener Stelle, an der sich einst der Thron des Spürers befunden hatte.
Von ihren Besuchen auf der Brücke der Abendstern wusste Wisperwind, wie dieser Ort in einem unzerstörten Schiff hätte aussehen müssen: Der Spürer, ein hageres Zwitterwesen zwischen Mann und Frau, saß festgeschnallt auf einer Art Hochstuhl hinter den Bugfenstern der Brücke; sein Schädel war von einem Gewirr aus goldenen Fäden umwoben, das fächerförmig von der Decke zu ihm herabreichte. Auf rätselhafte Weise ertastete der Spürer allein durch seine Gedanken die Kraftlinien im Inneren der Erde und brachte das Schiff dazu, ihnen zu folgen.
Zweifellos hatte es solch einen Spürer auch in diesem Schiff gegeben. Aber dort, wo sich sein Sitz befunden hatte, klaffte nun ein gezahntes Loch im Boden. Darüber waren die Reste einiger Goldfäden zu Eiszapfen verwachsen, die oberhalb der Bodenöffnung von der Decke ragten.
Wisperwind trat neben Kangan an den Rand des Lochs und blickte hinab. Trotz des gleißenden Sonnenlichts, das durch die geborstenen Bugfenster und die offene Rückseite der Brücke hereinfiel, herrschte dort unten Finsternis. Ein paar zerbrochene Planken wiesen abwärts, verschwammen aber nach wenigen Metern in der Dunkelheit. Erfüllt von bösen Vorahnungen erwartete Wisperwind, dass ein übler Gestank zu ihnen heraufwehte, doch sie roch nicht das Geringste. Vielleicht lag das an der Kälte, vielleicht aber auch nur daran, dass in der Tiefe wirklich nichts anderes war als Eis und geborstenes Holz.
»Dieses Loch ist nicht durch den Aufschlag entstanden«, sagte der Hauptmann.
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Es sieht aus«, flüsterte er, »als sei etwas von unten durch den Boden gebrochen und habe den Spürer mitsamt seinem Sitz verschlungen.«
» Vor dem Absturz?«
Er nickte. »Ich möchte wetten, wenn wir dort
Weitere Kostenlose Bücher