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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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Mauersteine müssen nicht mehr freigeklopft, sondern nur herausgenommen werden, das macht keinen Lärm, den man auf dem Marktplatz hören könnte. Kräftiges Essen gibt es, keinen Wasserbrei. Die Frau des Einarmigen, obwohl sie eine Schweigsame geworden ist, hat nicht verlernt, wie man Gänse und Stallhasen hält, ein Schwein durchfüttert und Gemüse anbaut. Apfelbäume haben sie auch, dort auf dem Land, und der Einarmige braucht mit dem Fahrrad nur zehn Minuten, dann ist er zu Hause.
    So kann man sich vielleicht das Paradies vorstellen und Jascha tut es einen ganzen Tag lang.
    Aber am nächsten Tag raunt der Einarmige: »Das wird nichts. Die hilft keinem Juden. Alle sagen, die Juden sind am Krieg schuld, und sie glaubt das. Dein Glück, dass sie noch einkocht wie früher und aus allem was machen kann. Unsere Buben waren gute Esser...« Er liegt mit dem Oberkörper im Mauerdurchbruch wie jemand, der gemütlich aus dem Fenster sieht. Aber von gemütlich kann nicht die Rede sein, er wartet nur, dass Jascha austrinkt. Dann zieht er das Seil mit dem Sack einhändig hinauf. Die Steine verschließen knirschend das Loch und Jascha ist wieder sich selbst überlassen.
    Er hat überlegt und gerechnet. Es gibt nur eine Stelle im Turm, wo die Mauer nicht so dick ist, dass er längelang hineinpassen würde, wenn man ein Loch bohren würde. Eine Stelle außer der Fenster und Türen. Nur dort ist möglich, was der Einarmige getan hat: Er muss die Ziegelmauer in der Nische aufgebrochen haben, in der sich Jascha am ersten Morgen probeweise versteckt hat. Warum die Mauer dort aus Ziegeln ist, kann er sich nicht erklären. Dafür weiß er, wo die Nische ist. Sie ist noch zwei Stiegen über dem Uhrenhaus. Das Uhrenhaus selbst ist bereits so hoch oben, dass man die Hälfte des Turms hinter sich hat, wenn man hinaufsteigt.
    Der Stadtpolizist Steidle, der seinen eigenen Turmschlüssel hat, ist ein schwerer Mann, schon die Speicherstiege im Judenhaus bringt ihn zum Schnaufen. Er ist weder schnell noch leise und das ist ein Glück. Denn wenn er unten den Turm aufsperrt, bleibt einem Zeit, das zu verstecken, was er nicht sehen darf, zum Beispiel einen Sack an einem langen Seil.
    Der Stadtpolizist Steidle muss alles sehen und melden, das ist seine Aufgabe, hat er zu den Frauen im Judenhaus gesagt, als er mit dem Stadtsekretär nachsehen kam. Ob die Verdunkelung vorschriftsmäßig ist. Ob Löschsand da ist. Ob die Feuerklatschen an ihren Haken hängen. Ob Wassereimer bereitstehen. Ob vor der Luke zum Kohlenkeller ein Sandsack liegt, ja, auch dann, wenn keine Kohlen mehr drin sind und wenn bei Alarm sowieso niemand in das schwarze Loch runtergeht, auch dann will er den Sandsack sehen, denn er ist verantwortlich, hat er gesagt, während der Stadtsekretär sich mit kalten Augen umsah und die Nase bewegte, als würde es stinken. Der Speicher muss leer geräumt sein, damit man im Fall eines Brandes schnell löschen kann; Gerümpel ist nur im Weg und brennt auch noch lichterloh. Die Wäsche sollen sie woanders aufhängen, wo, weiß der Stadtpolizist Steidle  auch nicht, und es ist nicht seine Schuld, dass vier Familien in dem schmalen Haus leben. Und dann hat er plötzlich getobt, weil ihm und dem Stadtsekretär eine Katze um die Beine gestrichen ist. Haustiere sind für Juden verboten, hat er geschrien, und er wird es melden, wenn die Katze morgen nicht weg ist.
    Am nächsten Tag ist er wiedergekommen, ohne den Stadtsekretär, und die alte Frau Hirsch hat im Flur gestanden und Rotz und Wasser geheult. Sie kann die Katze nicht umbringen, sie kann es nicht, und wenn sie sie fortjagt, sitzt sie doch gleich wieder am Fenster und maunzt.
    Da hat der Stadtpolizist Steidle die Katze unter den Arm genommen und gesagt, er kennt einen Bauernhof, da soll sie in Gottes Namen Mäuse fangen. In Gottes Namen hat sich seltsam angehört aus seinem Mund, und sie haben im Judenhaus darüber geredet, während die alte Frau Hirsch bleich und stumm in ihrer Ecke saß und die Hände im Schoß knetete. Der schlägt sie tot, sobald er außer Sicht ist, hat jemand gemurmelt, eine der Frauen, denn es waren nur Frauen und Kinder zu Hause, und eine andere hat gesagt, warum hat er es dann nicht gleich getan.
    Wenige Tage später saß die Katze wieder am Fenster, es muss ihr auf dem Bauernhof nicht gefallen haben. Onkel Kühn hat sie frühmorgens mitgenommen, bevor die alte Frau Hirsch etwas merkte. Am Abend hat er zu Tante Kühn gesagt, es ist erledigt.
    Einmal hat der

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