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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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sich allerdings verändert«, stellt sie fest. Sie meint es anerkennend. Doch der Satz gerät ihr unversehens zum Vorwurf, als dürfe der Amerikaner, wenn er jemanden wahrnimmt, nur sie wahrnehmen, als hätte sie einen Alleinanspruch auf seine Zuwendung.
    »Alles verändert sich, immer«, erwidert er leichthin, während er in seinem gleichmäßigen Schritt die Treppen hinuntergeht.
    Veronika ist knapp hinter ihm. »Ja, kann schon sein. Ich bin jedenfalls froh, dass Sie jetzt mit mir reden... Sicher war es ein runder Geburtstag?«, fügt sie lauernd hinzu.
    Zu ihrer Überraschung bekommt sie eine Antwort. »Zwei runde.« Der Amerikaner sieht sich nach ihr um und lächelt. »Ich habe nicht allein gefeiert.«
    »Ach? Und ich dachte, Sie wollten überhaupt nicht feiern!«
    »Auf meine Art schon.«
    »Und wo haben Sie gefeiert?«
    »Du wolltest mir deine Fragen doch schriftlich geben.« Er ist von einem Satz auf den anderen in seinen üblichen distanzierten Ton zurückgefallen und Veronika fühlt sich von seinem Lächeln getäuscht.
    Sie zieht ein verärgertes Gesicht. »Schriftlich ist kindisch«, sagt sie.
    »Wenn du meinst.«
    »Vielleicht interessiert es mich auch gar nicht mehr.« Sie überholt ihn und läuft voraus. Eine Kehre weiter unten wartet sie aber wieder. Sie sagt schroff: »Jetzt wüsste ich doch einmal gern, warum da eine Fensternische ohne Fenster ist!« Sie zeigt auf die leere Nische, die an einer Ziegelmauer endet.
    »Ich kann dir nur mit einer Vermutung antworten«, sagt der Amerikaner. Er lehnt an der Kante der Nische, das Handtuch unterm Arm. Das Shampoo in seiner Hand beschreibt einen Halbkreis. »Du siehst die hohen Fenster ringsum. Der Turm ist von vollendeter Symmetrie, also müsste auch hier ein Fenster sein, die Nische wurde dafür angelegt. Nun schritt aber der Bau des Turms schneller voran als der Bau der Kirche, der Turm war fünfzehn Jahre vor der Kirche fertig. Meine Vermutung ist, dass die Kirche schließlich höher geriet als geplant, gerade so hoch, dass sie das Fenster verdeckte, denn die Nische wird von der Ziegelmauer des Kirchengiebels verschlossen.«
    Der Amerikaner hat den Kopf hineingesteckt und betrachtet die Ziegelmauer gedankenvoll. Bohrlöcher am Rand der Nische lassen darauf schließen, dass hier einmal eine Tür angebracht war.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragt Veronika nach einer Weile verunsichert.
    »Hm?« Er dreht sich um. »Beobachtest du mich, Nick?«
    »Ich habe ja sonst keinen«, murmelt sie. Dann lässt sie ihn  stehen und läuft die Treppe hinab. Sie fühlt eine kleine Hitze in den Wangen, und die kommt davon, dass sie etwas Blödes gesagt hat, denn der Amerikaner hat spöttisch die Augenbrauen hochgezogen. Oder vielleicht nur überrascht?
    Sie sitzt auf den Stufen unter dem Vordach und sucht die Antwort in seinem Gesicht, als er herauskommt.
    Aber seine Miene ist unergründlich.
    Er gibt ihr den Schlüsselbund. »Willst du einen Spaziergang machen oder hier auf mich warten?«
    »Ich warte natürlich. Ich laufe doch nicht mit meinem Duschzeug in der Stadt herum!«
    Der Amerikaner nickt ihr freundlich zu und geht über den Platz davon. Sie kann absolut nicht einschätzen, wie alt er ist, und weiß plötzlich, warum: Es ist seine Beweglichkeit, er geht nicht wie ein alter Mann.
    Sie wird von einer Gruppe junger Türken abgelenkt, die sich auf der Straße streiten, nicht sehr ernst, aber laut und wie zum Zeitvertreib. Einer schaut in ihre Richtung und sagt etwas. Jetzt schauen sie alle her.
    Veronika steht ohne Hast auf. Ein Kontrollblick auf ihre Botschaft LOOK OUT MATTIS, NICK IS HERE, und sie geht hinein, drückt die Tür zu, steckt den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn um. Sie kann innen genauso gut auf den Amerikaner warten, er wird es wissen und wird klopfen.
    Mit aufgestütztem Kinn sitzt sie auf den Stufen und starrt zur Tür. Die Welt ist mit einem Schlag ausgesperrt. Oder vielmehr, sie selbst ist ausgesperrt, das Leben findet ohne sie statt. Kann ein Mensch das auf Dauer aushalten? Sie schaudert; sie hat es ja schon ziemlich lange ausgehalten, wie nur? Dank der Faszination, die von der Person des Amerikaners ausgeht? Aber genug ist genug, es wird Zeit, dass sie von hier verschwindet.
    »Morgen kommt er, morgen kommt Mattis«, murmelt sie beschwörend.
     

30
    Der Einarmige sagt: »Ich will dich rausholen. Du bist wie ein Zeitzünder, solange du im Dach bist. Wenn ich nur einen hätte, dem ich vertrauen kann.«
    Es gibt jetzt jeden Abend zu essen. Die

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