Das Wort des Hastur - 12
ernsthaft verletzt wurde niemand, und nicht eine einzige Mahlzeit mußte ausfallen.
Dennoch fühlte sich der Junge – denn einen Mann konnte Tayksa ihn wirklich nicht nennen, obwohl er seinen vierzehnten Geburtstag längst hinter sich hatte und das Schwert und alle anderen Anzeichen eines Erwachsenen trug – hundeelend. Während der Stürme war er felsenfest davon überzeugt, daß jeden Augenblick Ya-Männer über sie herfallen würden. Als sie eingeschneit waren, erteilte er so viele widersprüchliche Befehle, daß die Männer ihn schließlich ganz ignorierten und nur den Anweisungen ihres Hauptmanns folgten. Beim Angriff der Katzenmänner verkroch er sich im Proviantwagen und traute sich erst wieder hervor, als alles vorbei war.
Sogar Tayksa, die sich selber für eine abgebrühte Zynikerin hielt, war bewegt, als sie den geheimnisvollen Nebelsee von Hali und die heilige Stätte rhu fead am anderen Ufer sah. Natürlich durften Deena und sie sich nicht allzu nahe heranwagen, denn nur den Comyn war es gestattet, das gegenüberliegende Ufer zu betreten. Aber schon beim Anblick aus der Ferne lief es Tayksa kalt den Rücken hinunter, und ihre Partnerin war zu Tränen gerührt. Sie hatten damals selber gesehen, wie nach dem Kataklysmus der See zerstört war. Und nie würden sie vergessen, wie Lord Varzil neben den Ruinen von rhu fead stand, sein weißes, fast unmenschliches Gesicht unter den kupferroten Haaren, während er mit den vereinten Kräften des Kreises seiner Leroni darum rang, die Wunden des Sees zu heilen.
Deena drängte es, Jehan von jener Zeit zu erzählen. Drei Tage und drei Nächte lang hatte Varzil wie zu einer Statue erstarrt am Ufer gestanden, hatte weder gegessen noch geschlafen. Um ihn herum schlugen die ganze Zeit bläuliche Blitze ein, und aus Angst, getroffen zu werden, wagte es keiner, sich ihm zu nähern. Dann, am Ende der dritten Nacht, bot sich seinem Heer ein grandioser Anblick: der See war wiederhergestellt zu seiner alten, geheimnisumwitterten Größe, erneut gehüllt mit Nebelschwaden, die so dicht waren, daß kein menschliches Auge sie durchdringen konnte. Hätte Varzil in jenem Augenblick verlangt, ihn als Hastur und wiedergeborenen Sohn des Aldones anzureden, kein einziger aus seinem Gefolge hätte ihm diesen Titel verweigert.
Aber das tat Varzil nicht; stattdessen handelte er einfach nur wie jeder gewöhnliche Mann nach einer großen Anstrengung: Er verschlang ein halbes Chervine, ging dann zu Bett und schlief die nächsten beiden Tage und Nächte durch. Auch nachdem er wieder erwachte, meldete er keine weiteren Ansprüche an. Er befahl seiner Armee schlicht und einfach den Rückmarsch nach Carcosa.
Doch Jehan blieb von dieser Geschichte genauso ungerührt wie vom Anblick des Sees und des rhu fead. Er traute sich noch nicht einmal, zum anderen Ufer überzusetzen. Nachdem er alles aus sicherer Entfernung betrachtet hatte, beschloß er, der Zweck seiner Reise sei damit erfüllt, und ordnete die Rückkehr an.
Und obwohl er ständig eine Harfe bei sich trug, hatte Tayksa ihn nie länger darauf spielen oder wenigstens üben hören. Es schien ihm zu genügen, das Instrument zur Schau zu stellen und damit sein Ansehen als ›Musiker‹ zu begründen, ohne je zu beweisen, daß er wirklich einer war. Gewiß, ab und zu griff er zu der Harfe und spielte ein Stück vor, daß er angeblich selber komponiert hatte. Aber sobald klar wurde, daß seine Zuhörer keineswegs freiwillig lauschten und nur mühsam ihren Unmut verbargen, brach er ab und erklärte beleidigt, daß er seine ›Kunst offenbar an diese Banausen verschwende‹. Solche Kostproben seines ›Könnens‹ waren schon selten genug; eigene Kompositionsversuche unterließ er offensichtlich ganz.
Deena erklärte einmal, ganz gegen ihre sonstige Natur sarkastisch, daß Jehan wie eine Spottdrossel sei: wenn er niemanden nachahmen kann, verstummt er.
Selbst Deena hat es bemerkt; jetzt wollen wir sehen, ob sich auch Lord Rafael überzeugen läßt.
Tayksa hatte eigentlich nicht damit gerechnet, den weiteren Verlauf der Geschichte persönlich mitzuerleben, vielmehr hatte sie damit gerechnet, daß man ihr und Deena eine symbolische Belohnung für ihre Dienste aushändigen und dann nach Thendara zurückschicken würde. Sie hatte sich sogar schon einen Plan zurechtgelegt, wie sie sich lange genug bei der Burg aufhalten konnte, um dann irgendwie von Anndra zu erfahren, was durchgesickert war. Aber das war alles nicht nötig, denn kaum war sie
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