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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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abgestiegen, führte man sie in die Burg, bot ihr dort ein heißes Bad und frische Kleider an, und schließlich erhielt sie eine Einladung, an den Feierlichkeiten zu Ehren Jehans Heimkehr teilzunehmen. Da sie sich schon tagelang nach einem Bad gesehnt hatte, die Kleider auch für eine Entsagende tragbar waren und die Feierlichkeiten für jeden interessant zu werden versprachen, nahm sie alles freudig an.
    Man wies ihr und Deena einen Platz unter der Dienerschaft an, was aber beide nicht im geringsten störte. Sie konnten gar nicht weit genug von Jehan entfernt sein, der neben seinem Vater an der Herrentafel saß. Und neben Jehan stand seine Harfe …
    Vor der Tafel warteten Anndra und seine drei Schüler auf ihren Auftritt. Auf ein Zeichen Lord Ridenows nahm der jüngste der Knaben seine ryll und begann zu singen und zu musizieren. Die erste Strophe war noch nicht verklungen, da bestand kein Zweifel mehr, daß die Ballade den ersten Sturm schilderte, den sie überstanden hatten. Tayksa war nicht schlecht erstaunt, als sie ihre eigenen dürren Worte in dieser beschwörenden und poetischen Fassung wiedererkannte. Sie hätte jederzeit bereitwillig erklärt, daß sie keinen Funken Poesie besäße, und doch hörte sie jetzt ihre eigenen trockenen Berichte, wenn auch ausgeschmückt und in eine lyrische Form gebracht.
    Jehan schien davon nichts zu bemerken. Er applaudierte halbherzig, als der erste Junge geendet hatte, und machte sich dann wieder über sein Essen her. Der zweite Knabe trat mit seinem Lied vor das Publikum. Dieses Thema hätte auch Jehan bedichten können, wäre er dazu begabt genug gewesen. Es handelte von einem jungen Mann und seiner ersten Bewährung im Kampf mit den Katzenmännern.
    »Nur zu schade, daß es sich nicht ganz so abgespielt hat«, flüsterte Deena ihrer Partnerin zu und entlockte ihr damit ein Grinsen. Tayksa hatte in ihren Berichte Jehans Feigheit eher kaschiert, aber das Getuschel an den Tischen verriet, daß die anderen Wächter und Diener, die sie auf dieser Reise begleitet hatten, offenbar nicht so zurückhaltend gewesen waren. Jehan besaß immerhin noch Anstand genug, ziemlich betreten dreinzublicken. Der Applaus galt dem Sänger, während der Besungene einige höhnische Blicke erntete.
    Tayksa hatte erwartet, daß das Thema des Besuchs am heiligen See Anndras Vortrag vorbehalten blieb, aber sie hatte sich geirrt. Der dritte Musikant, ein junger Mann, der kaum älter war als Jehan, besang den See und die Heldentaten Varzils und schilderte dann auf bewegende Weise, welche Ehrfurcht dieser Ort ihm eingeflößt hatte. Inzwischen versank Jehan immer tiefer in seinen Kissen; noch ein Lied und er würde höchstwahrscheinlich unter den Tisch kriechen.
    Dann erhob sich Anndra, und bei seinem Vortrag erkannte Tayksa, warum er bis zuletzt gewartet hatte. Er nahm die Themen der ersten drei wieder auf und führte sie zusammen. Dies geschah in Form einer Schilderung von Gedanken, die einen Mann auf der Heimkehr zu seiner geliebten Familie bewegten. Dieses Lied hätte Jehan keinesfalls schreiben können, denn die darin geäußerten Einsichten verrieten Reife und Erfahrung. Tayksa begriff nun auch, warum Varzil von Anndra so beeindruckt gewesen war – der Mann war ein gottbegnadeter Künstler. Während er sang, dachte sie sehnsuchtsvoll an ihr eigenes Heim, das Gildenhaus in Thendara; sie dachte an alle ihre Freundinnen und Schwestern dort; und sie dachte an all diejenigen, die nicht wieder heimkehren sollten, die durch Kriege und Verfolgung umgekommen waren, noch bevor das Gildenhaus Gestalt annahm. Als Anndra endete, hatte Tayksa feuchte Augen, und sie war nicht die einzige, der es so ging.
    Die Zuhörer schwiegen ergriffen – ein Moment der Stille, der der höchste Lohn für einen Künstler ist – bevor der Applaus losbrach und Hochrufe das ganze Gewölbe erfüllten.
    Anndra verbeugte sich einmal und nahm dann wieder seinen Platz ein. Tayksa konnte auf seinem Gesicht keinerlei Gefühlsregung ausmachen. Sie selbst erwartete voller Anspannung den Höhepunkt dieses Schauspiels.
    »Nun, Jehan«, meinte Lord Ridenow aufmunternd, »du hast die Lieder gehört, die Anndra und seine Schüler zu deiner Begrüßung geschrieben haben. Ich muß gestehen, daß ich es kaum erwarten kann zu hören, was du komponiert hast. Welch wunderbare Inspiration muß diese Reise für dich gewesen sein! Ich habe deine Harfe herunterbringen und für dich stimmen lassen. Bitte, mein Sohn, spiel uns eines deiner Lieder! Wenn

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