Das Wort des Hastur - 12
auszureiten. Tayksa war der Gedanke nicht unangenehm. Obwohl sie ein typisches Stadtkind war, hatte auch sie die wilde Natur zu schätzen gelernt, und um Deena einen Gefallen zu tun, würde sie schon einige Strapazen auf sich nehmen, die das Campieren im Freien nun einmal mit sich brachten. Außerdem hatte die mißliche Lage des Musikers ihren Sinn für Gerechtigkeit angestachelt, und Deena hatte ohnehin gedroht, notfalls auch alleine loszureiten. Und wenn wir so ein verwöhntes Comyn-Söhnchen begleiten, dann werden wenigstens die Zelte dicht und die Betten weich sein, und ein Koch wird warme Mahlzeiten bereiten. So laß ich mir das Campen schon eher gefallen.
Varzil grinste breit. Hatte er ihre Gedanken gelesen? Schon möglich, denn einem so sensiblen Telepathen wie ihm dürften sie kaum entgangen sein. »Ein äußerst großzügiges Angebot, Mestra«, meinte er gütig. »Jetzt laßt uns überlegen, wie wir diesen Plan Lord Ridenow schmackhaft machen können. Am besten wäre es, wenn er glaubte, er wäre selbst auf die Idee gekommen!« Er mußte weiterhin lächeln, als er darüber nachdachte. Plötzlich schnalzte er mit den Fingern. »Aber ja doch, was wäre besser dazu geeignet als ein Lied? Eine Ballade, die die Sehnsucht nach einer solchen Reise ausdrückt!«
Anndra schaute ihn verständnislos an. »Aber wenn der Junge nun auch diese Ballade …«, stammelte er zunächst hilflos, doch dann dämmerte es ihm. »Ja natürlich! Wenn der Junge die Idee klaut und seinem Vater vorträgt, wird Lord Ridenow überzeugt sein, es sei Jehans eigener Wunsch!«
»Und als nachgiebiger Vater wird er ihn sicher gewähren«, beendete Varzil den Gedanken. »Zumal auf solch einer frommen Reise und bei solchen Führern dem Jungen wirklich keine Gefahren drohen!«
Von Anfang an erwies sich Jehan als die reinste Nervensäge. Obwohl es eine der sichersten Reisen war, die Tayksa je unternommen hatte, glaubte der Junge offenbar, in äußerster Lebensgefahr zu schweben, sobald auch die kleinste Kleinigkeit schief ging. Hätte Tayksa nicht den wahren Zweck dieser Expedition gekannt, wäre ihr mehr als einmal der Geduldsfaden gerissen.
Obgleich auch sie während des Rittes nach Hali und zurück auf ihre Kosten gekommen war, was nicht zuletzt an Deenas Begleitung lag, war Tayksa mehr als froh, endlich die Türme der Burg Ridenow wiederzusehen. Als sie sich umblickte, um zu sehen, wie sich die anderen im Troß fühlten, verrieten ihr die erleichterten Mienen, daß Jehans ständige Quengeleien auch ihnen zugesetzt hatten.
Und dabei war die Reise alles andere als beschwerlich.
Wie erwartet hatte Jehan die Ballade, die Anndra über die Sehnsucht nach dem heiligen See von Hali verfaßt hatte, prompt imitiert, und Lord Ridenow hatte daraus geschlossen, daß sein Sohn sich nichts sehnlicher als eine solche Reise wünschte. Jehan saß in der Falle. Natürlich konnte er nicht zugeben, daß das Lied eigentlich von seinem Lehrer stammte und noch weniger wollte er zugeben, daß er selbst nie auf einen solchen Gedanken gekommen wäre. Was blieb ihm also anderes übrig als loszuziehen? Natürlich hatte Lord Ridenow den König um Erlaubnis und zusätzlichen Begleitschutz für seinen Jüngsten gebeten, was dieser nur all zu gern bewilligte. Außerdem bot Varzil die Dienste ›zweier meiner ehemaligen Kampfgefährten, die sich in dieser Gegend bestens auskennen‹ an. Es war schwer zu sagen, ob Lord Ridenow beunruhigt war, daß sich unter Varzils Abordnung auch zwei Entsagende befanden; jedenfalls ließ er es sich nicht anmerken. Vielleicht hatte er bei Varzils allgemein bekannter Protektion nichts anderes erwartet.
Die kleine Expedition gestaltete sich, ganz wie Tayksa gehofft hatte, geradezu luxuriös. Die Zelte und Ausrüstung waren vom Feinsten, und man hatte ihnen die besten Chervines mitgegeben; eine ganze Wagenladung war dem Proviant vorbehalten, hinzu kamen eine Feldküche und ein Koch, der ihnen morgens und abends warme Mahlzeiten bereitete. Jehan erhielt Lord Ridenows Kommandozelt, voll ausgestattet mit Teppichen, allen nur erdenklichen zusammenklappbaren Möbeln und sogar einer Badewanne. Alles in allem entsprach es Tayksas Vorstellung vom Campen, auch wenn Deena insgeheim über ›diese Weicheier‹ schimpfte.
Einige durchaus erwartbare Unannehmlichkeiten konnten dennoch nicht ausbleiben. Zweimal waren sie nach Stürmen mehrere Tage lang eingeschneit, und bei einem Angriff durch Katzenmänner hatten sie ein Chervine verloren. Aber
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