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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Seiten gesehen. Ich weiß es nicht mehr. Erst so viel später wurde mir klar, dass Sie in diesem Raum anwesend waren; dass selbst Hannah und Sonja fasziniert waren von der Art, wie Menschen wie Sie die Welt sehen.
    Später studierte ich mit Hannah gemeinsam die Entwürfe für die Bluse, die ich meiner Mutter schenken würde. Sonja schaute uns über die Schulter und meinte: »Für dein erstes Stück ist das nicht schlecht.« Sie brachte eine Flasche Sekt, und wir stießen auf meine erste Arbeit an.
    Abends, auf der Rückfahrt im Zug, überfiel mich ein unbändiges Glücksgefühl. Dieses harmlose Kleidungsstück
war der erste wirkliche Gegenstand meines Lebens, der zu mir gehörte, der ausdrückte, was zu tun ich in der Lage war.
    Dann begannen die Ferien. Meine Mutter feierte ihren Geburtstag in unserem Garten. Die Bäume waren mit Lampions geschmückt, Heizpilze wurden aufgestellt, Decken auf Stühle gelegt, es war eine angenehm kühle Nacht mit weichen Lichtern. Der Chor, zu dem meine Mutter einmal in der Woche ging, sang für sie ein Lied von David Bowie. Neben dem Steintisch war unter einem Zelt ein großes Büfett aufgebaut. Die weißen Tischdecken berührten mit ihren Enden fast den Rasen. Ich hatte mir ein gelbes T-Shirt und eine neue Jeans angezogen und erschien fröhlich und selbstbewusst zwischen den festlich gekleideten Gästen, die mich zunächst nicht beachteten. Aber als ich meiner Mutter mein Geschenk überreichte, sahen alle zu mir hin. »Das ist für dich.«
    Sie hielt die Bluse gegen das Licht, sah mich an und nahm mich in die Arme.
    »So ein Geschenk habe ich noch nie bekommen, Maja!«
    Es war eine weiße Bluse mit einem einzigen lang gestreckten roten Rechteck an der linken Schulter. Sauber ausgeschnitten und aufgesetzt. Meiner Mutter gefiel die Bluse sehr. Sie zog sie gleich an und zeigte sich auf ihrer Geburtstagsparty vor ihren Freunden.
    »Das hat Maja für mich gemacht«, sagte sie. Ich war stolz, sie so zu sehen. Dieser kleine Moment Überwindung, der zuerst in ihrem Gesicht aufgetaucht war, und
wie er sich dann verwandelte in Genuss, dass die anderen nicht so recht wussten, was dieses Kleidungsstück bedeuten sollte, gefiel mir. Es gab auch einige scherzhafte und dumme Kommentare. Am meisten ärgerte mich der des Chorleiters. Seinen blauen Pullover um die Schultern geschlungen, sagte er, während er sich im Stuhl zurücklehnte, die Bluse würde aussehen, als ob jemand ein gut sichtbares Fadenkreuz daran angebracht hätte. Das fiel ausgerechnet dem Menschen ein, der während Aufführungen von Händel-Oratorien im Münster gern Schweigeminuten veranstaltete, um den »Geist des Werkes wirken zu lassen«, wie er bedeutungsvoll dem Publikum verkündete.
    Dann kam die Katastrophe langsam auf uns zu.
    Ich fuhr am nächsten Tag wieder nach Freiburg. Hannah und Sonja hatten Nudeln gekocht und eine Flasche Wein auf den Ateliertisch gestellt. Während wir aßen, fragte mich Hannah beiläufig, ob ich schon etwas für die Ferien geplant hätte. Ich schüttelte den Kopf. »Du könntest mit uns nach Dänemark kommen, wenn du magst. Wir haben ein Haus dort, es liegt nicht weit entfernt vom Strand.« Sonja drehte sich um und holte aus einer Schublade ein altes Bilderalbum mit Fotos.
    Dänemark sei wunderbar, sagten sie. Sie hätten dort viele Freunde an der Küste und würden wie jedes Jahr ein paar Tage in dem Haus verbringen. Es sei alles vorhanden, Wiesen, zwei weitere Hunde, Zeichentische, Emaillegeschirr, sogar eine Sauna mit Felsensteinen. Sie sagten, es sei wirklich nicht weit zum
Meer, ein leerer weiter Strand, kristallklare Luft wie in einem Salzbergwerk.
    Es wäre doch eine wunderbare Gelegenheit, Zeit miteinander zu verbringen. Auf den Fotos sah ich die Schwestern - mit den Hunden über den beschriebenen Strand tollend -, und die Idee erschien mir als ein einziges Glücksversprechen. Ich sagte, dass ich unbedingt mitkommen wolle. »Wenn du willst, rufen wir deine Eltern an.«
    Zu Hause erzählte ich meinen Eltern von dem Vorschlag. Sie meinten, sie hielten das für »keine gute Idee«. »Du kennst diese Frauen doch kaum.«
    Nur diese lapidare Bemerkung. Ich konnte es nicht fassen. Sie verboten es einfach. Ohne eine weitere Erklärung. Ich sah sie an und merkte, wie meine Gefühle durcheinanderstürzten. Ich war so enttäuscht, dass ich den ganzen Abend lang kein Wort mehr mit ihnen sprach.
    Am nächsten Morgen ging ich zum Frühstück hinunter. Meine Eltern saßen an dem großen Tisch im

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