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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Topf geworfen werden. Es bringt die Dinge nur noch mehr durcheinander.«
    »Entschuldigen Sie, ich habe noch etwas vergessen.« Er ließ den mürrisch vor sich hin redenden Mann stehen und durchquerte zum zweiten Mal den inneren Eingang. In der Innentasche seiner Jacke steckte der Stein, den ihm Maja beim Abschied in die Hand gedrückt hatte, ein kleiner, wenig auffälliger grauer Stein, der beinahe die Form eines Dreiecks hatte. Er legte ihn vorsichtig auf das Metallbord. Er hatte geglaubt, dass das Hinlegen des Steins eine Bedeutung für ihn haben würde. Nun merkte er, dass sowohl die Kerze als auch der Stein zwei fremde Gegenstände an diesem Ort waren, hilflose Zeugen einer Geschichte, die längst von der Insel verschwunden war.

    Er verabschiedete sich kurz von dem Angestellten und ging dann zum Parkplatz, wo der Mietwagen stand. Er kurbelte das Fenster herunter, startete den Motor und fuhr die Auffahrt hinunter.
    Im Seitenfenster sah er ein letztes Mal auf die vorbeiziehende Synagoge mit den weißen Mauern, den dazugehörigen Höfen und den schmächtigen Bäumen im Hintergrund, dann wandte er den Blick nach vorn.
    Die Sonne wurde nun immer schwächer. Ein leichter Wind ging durch die Sträucher am Straßenrand. Ein violetter Schimmer hing in den länglich-dürren Blättern, von denen die Hitze des Tages wie ein Schatten abzugleiten schien. Pinienbäume kamen in den Blick, deren mächtige Kronen wie hohe, dunkel gefiederte Dächer über das Gelände wachten. Sein Hotel lag einige Kilometer weit entfernt, und er freute sich darauf, in der Abenddämmerung an der Küste entlangzufahren. Er suchte im Radio nach einem englischen Sender, dann blieb er bei einem Kanal hängen, in dem er die Stimme einer Sängerin hörte, die jener von Fairouz glich. Die Stimme klang hell und vertraut, während die Instrumente irgendwo weit entfernt von ihr zu spielen schienen.
    Nach einer Weile kamen die ersten Häuser des kleinen Küstenortes in der Ferne in Sicht. Links zweigte die Straße zu der Villa ab, in der das Fest stattgefunden hatte. Dahinter waren Baracken und Ziegenställe zu sehen; wenig später tauchten die Lichter einer Tankstelle auf. Er bog in eine der schmalen Straßen ein, die zum Meer hinunterführten.

    Es waren kaum Menschen an diesem Strandabschnitt zu entdecken. Nur ein paar Kinder schossen sich gegenseitig einen Lederball zu.
    Er parkte den Wagen auf einem schmalen Schattenplatz, wanderte durch den Sand bis zu einem kleinen Hügel, den vielleicht die Kinder gebaut hatten. Er zog sich bis auf seine Shorts aus und lief in die Brandung; der Sand unter den Füßen war noch warm. Die Kinder schossen den Ball in seine Richtung, und er spielte ihn aus den auslaufenden Wellen zurück, wobei die Kinder lachten und ihn noch einmal in seine Richtung bugsierten.
    Er schwamm weit hinaus. Er dachte daran, dass Maja heute die Nachricht erhalten haben musste, die er ihr aus Tunis hatte zustellen lassen. Morgen früh würde er zum Flughafen fahren; ganz gleich, ob sie kam oder nicht; er durfte keinen Gedanken daran verschwenden, dass er gegen seine Überzeugung handelte. Nichts war nachzuholen, nichts ins rechte Lot zu rücken, obwohl er in dem Büro in Tunis daran gedacht hatte, wie viel Richtiges in einer hilflosen Geste stecken konnte.
    Wie weit, versuchte er sich vorzustellen, konnte ein Oktopus wohl seine Arme ausstrecken, wenn es ihm gelang, zu entkommen? Wie unbändig musste das Gefühl eines Tieres sein, das abtauchen und namenlos verschwinden konnte?
    Das Wasser war kühl. Erst nach einigen kräftigen Schwimmzügen überkam ihn das vertraute Gefühl des Glücks, aufgehoben zu sein in diesem Element.
Als er sich umdrehte, waren die Kinder vom Strand verschwunden. Weit und leer lag die Küste mit den vom Wind zerzausten Palmen vor ihm; nicht mal der geparkte Wagen unter den Bäumen war von hier aus zu sehen. Während er zurückschwamm, war er sich sicher, dass gerade jetzt das Meer hinter ihm tiefer zu leuchten begann, eine Schönheit zeigte, die zu ihm gehörte, immer noch.

1. Auflage
    Copyright © 2011 by Deutsche Verlags-Anstalt, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    Alle Rechte vorbehalten
    Typografie und Satz: DVA/Brigitte Müller
    Gesetzt aus der Sabon und der Myriad
     
     
    eISBN 978-3-641-05378-9
     
    www.dva.de
    www.randomhouse.de

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