Das Wuestenhaus
Augen: »Wollt ihr euch trennen?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ihr schreit euch die ganze Zeit an. Oder ihr sagt gar nichts.«
Sie umarmte mich, und ich sah, wie ihre Augen glitzerten. Ich wollte sie unbedingt aufmuntern. »Ich hätte Lust, nach Freiburg zu fahren. Du musst mal aus dem Haus kommen. Fährst du mit?«
Auf der Fahrt sprachen wir kaum ein Wort miteinander. Wir parkten den Wagen in der Nähe des Münsters. Über den Straßen lag eine bleierne sonntägliche Stille. Die Häuser wirkten wie die Fassaden einer leeren, in der ersten Frühlingswärme dämmernden Stadt. Es waren kaum Menschen zu sehen. Meine Mutter
schien geistesabwesend zu sein. Wir schlenderten durch die Straßen und Gassen, machten es uns in einem Café bequem, setzten beide unsere großen Sonnenbrillen auf und beobachteten den Schatten, der über den Vorplatz des Münsters fiel wie der Rücken eines Wals. Auf dem Rückweg entdeckten wir, schon am Rande des Zentrums, das Schild zu einem Hinterhofladen. Nach einem schmalen Durchgang öffnete sich ein lichtdurchfluteter Hof. Zwei Frauen, beide um die vierzig, saßen auf Holzstühlen. Die eine drehte sich eine Zigarette, die andere las in der Zeitung - jene, für die Sie schreiben. Die Zigarettendreherin rief uns entgegen: »Wir haben geschlossen!« Meine Mutter lächelte ihr besorgtes Entschuldigungslächeln und wollte schon umdrehen, als die andere sagte: »Ihr könnt euch aber gern den Laden anschauen. Wir dürfen am Sonntag nur nichts verkaufen.«
Sie kam uns entgegen und gab uns die Hand. »Ich heiße Hannah.« Nun stand auch die andere auf. Sie streckte uns, die Zigarette in den Mundwinkel gepresst, ebenfalls die Hand entgegen. »Sonja. Ich bin Hannahs Schwester. Seht euch ruhig um.«
Kennen Sie dieses Gefühl, dass man einen Menschen sieht und sofort weiß, er wird eine Bedeutung für das eigene Leben haben? Ohne es in Worte fassen zu können, hatte ich auf dem Hof bei diesen beiden Frauen ein solches Gefühl. Sie werden sich vielleicht wundern, warum ich Ihnen so ausführlich von diesem Ausflug und von dem Laden berichte. Aber im Grunde begann alles hier. Hier habe ich schon etwas
von Ihnen gefunden, und wenn es nur die Zeitung war, die Hannah gelesen hatte, diese Zeitung, für die Sie arbeiten. Später dachte ich, in diesem Laden bin ich Ihnen begegnet. Dort war die erste, noch fast unsichtbare Spur, die mich zu Ihnen führte.
Der Laden - mit riesigen, grellblau angemalten Blumenkübeln vor der Tür - war eng und wirkte trotzdem hell wegen der sauberen, weiß getünchten Wände. Auf einem Holztisch stand eine hohe Vase mit Strohblumen. Überall befanden sich große Kleiderregale und kleine Vitrinen mit Ketten und Schmuck. Die Schwestern verkauften Stoffe, Accessoires und selbst gefertigte Kleidungsstücke. Einige hingen als Ausstellungsstücke auf gesonderten Ständern. Es waren helle, sommerliche Kleider, zu denen man sich die Frauen vorstellen konnte, die sie einmal tragen würden. Meine Mutter befühlte den Stoff eines Kleides und sagte: »Das ist sehr schön. Wie aus dem Süden, so sommerlich. Diese wunderbaren Farben. Als ob die Sonne drinsteckt.« Ich blieb bei dem großen Tisch in der Mitte des Raumes stehen, auf dem Stoffe, Scheren, Zettel und Papiere mit Kleiderentwürfen lagen. Sonja bot mir eine Zigarette an. Obwohl ich wusste, dass meine Mutter schockiert sein würde, nahm ich die Zigarette und zündete sie mir an. Meine Mutter sah erschrocken zu mir hin, sagte aber kein Wort.
»Nähst du auch?« Hannah lächelte mir aufmunternd zu.
Ich schüttelte den Kopf. Mich faszinierten die auf dem Tisch ausgebreiteten Stoffmuster. Raue, kratzige
und weiche Stoffe in vielen Farben, die scheinbar zufällig dort lagen und dennoch einer geheimen Anordnung zu folgen schienen. Sonja zeigte mir einige Entwürfe, erklärte mir Details und trank dabei Kaffee aus ihrer Steinguttasse. Mir gefiel, wie die beiden mit mir sprachen. Ich hatte das Gefühl, diese Frauen schon lange zu kennen. Sie sprachen anders als die Freunde meiner Eltern und waren in nichts mit meinen Freundinnen in der Schule zu vergleichen. Als mich Sonja fragte, ob ich aus Freiburg sei, schob sie gleich den Satz hinterher: »Es ist eine schöne Stadt, aber mit beschissenen Leuten.« Ich wusste dazu nichts weiter zu sagen und erzählte den Schwestern stattdessen, dass ich manchmal im Zimmer meines Vaters zeichnete, während er seine Geschichten schrieb. Hannah lächelte: »Das kann ich gut verstehen. Man braucht
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